Mittwoch, 14.07.2004 – … denn die Macht wandert schnell in der Bruderschaft
Ich muss natürlich gerade an einem Mittwoch Geburtstag haben, am längsten Tag der Woche! SangSu lässt es sich nicht nehmen, auch überall herumzuerzählen, dass ich Geburtstag habe, also lässt Kondô-sensei wieder eine Runde Getränke springen. Besten Dank dafür.
SangSu redet dann weiter über den Vergleich zwischen der untergegangenen Fuji Bank (die übrigens im „Shadowrun“ Spieluniversum weiter zu existieren scheint) und der amerikanischen Citi Corporation. Ich verstehe nicht ganz, was wir heute anderes besprechen, als beim letzten Mal. Wieder wird die These dargelegt, dass die Fuji Bank, würde sie noch existieren, ihren Geschäftsumfang einschränken und auffächern müsste, um profitabler zu sein. Und ich sage deshalb „These“ und nicht „Tatsache“, weil ich immer noch nicht zu 100 % verstanden habe, welche Maßnahmen warum für eine bessere Bilanz sorgen könnten – das ist definitiv nicht mein Fachgebiet. Das, was ich verstanden habe, habe ich ja bereits dargelegt. Immerhin ist mir jetzt klar, dass ein Unternehmer eine „gesunde Mischung“ aus Eigenkapital und Krediten braucht, um effektiv arbeiten zu können.
Das sollte ich mir merken für den Fall, dass ich je wieder dazu komme, eine Partie „Oil Imperium“ zu spielen, wo ich immer nach zwei Spieljahren pleite gegangen bin, weil ich allergisch gegen Kredite bin und es daher mangels ausreichendem Eigenkapital versäumt habe, Ölquellen in anderen Teilen der Welt zu erschließen, wo der Preis pro Barrel noch nicht unter die Rentabilitätsgrenze gerutscht war.[1]
Ich frage Kondô, ob es ein ideales Verhältnis von Eigenkapital und Krediten gebe. Das gebe es bestimmt, sagt er und grinst, aber wer den Idealstatus finde, habe sich einen Nobelpreis für Wirtschaft verdient (falls es einen solchen geben sollte). Ich interpretiere, dass es eine Frage der Situation ist. Es hängt wohl vom jeweiligen Betrieb ab, wie viel Investitionskapital geliehen werden muss und wie viele Rücklagen benötigt werden. Wegen meiner Frage überziehen wir die Stunde um ein paar Minuten und ich komme etwas spät zu dem Treffen mit Hugosson, der mit uns heute eine NPO besuchen will. Wir fahren mit dem Fahrrad, weil es nicht so weit ist, dass wir dafür den Fahrdienst der Universität in Anspruch nehmen müssten.
Die Organisation heißt „Harappa“ und unterstützt Künstler, die abseits vom Mainstream tätig sind, in erster Linie Maler und Skulpturisten. Den Anfang nahm das Unternehmen mit einem Künstler namens „Hara“, der sich wohl in den USA bereits einen Namen gemacht hatte und eine Ausstellung in seiner Heimatstadt Hirosaki veranstalten wollte, unter dem Titel „I don’t mind if you forget me“. Allerdings sah sich die Stadtverwaltung offenbar organisatorisch nicht in der Lage, für die benötigten Dinge zu sorgen, allem voran fehlte es an einem Ausstellungsraum. Es bildete sich also eine Gruppe von Freiwilligen, darunter eine ältere Dame aus der Stadt, offenbar mit Geld gesegnet, die ein altes Warenhaus zur Verfügung stellte. Es handelt sich um ein rotes Backsteingebäude und es sieht meiner Meinung nach aus, als sei es eigens für den Zweck von Kunstausstellungen geschaffen worden. Offenbar ist die Kunstszene nicht selten in solchen Bauten aus dem Industriezeitalter zu finden. Das ist ja auch in Deutschland nicht anders.
Diese lockere Organisation von Freiwilligen wagte es, mit ein paar Tausend Besuchern zu rechnen, doch letztendlich waren es 60.000 Leute innerhalb weniger Wochen, die einen Gewinn von drei Millionen Yen in die Kassen von Harappa spülten. Das war der Startpunkt, die Organisation offiziell zu gründen und sich weiteren Ausstellungen zu verschreiben. Der derzeitige Chef ist ein Anwalt um die 50, also kein Armer, der in seiner Freizeit den Laden schmeißt. Allein die Sekretärin ist fest angestellt, alle anderen sind unbezahlte Freiwillige.
Das Regal an der Wand steht voll mit Designerstücken, die zum Teil zu kaufen sind. Das einzige Stück, das mich interessiert, ist allerdings unverkäuflich. Schon mal einen psychopathisch aussehenden Plüschhund gesehen? Es gab leider nur harmlos aussehende „Brüder“ von ihm zu kaufen, die sind aber aus Plastik, für 9000 Yen das Stück. Ich bin doch nicht bekloppt. Interessant ist sonst noch die (ebenfalls unverkäufliche) Uhr. Es handelt sich dabei weder um eine Digitaluhr, noch um eine Zeigeruhr. Die Zahlen werden auf einzelnen Plastikplättchen angezeigt, von denen nach jeder Minute ein neues ins Sichtfeld des Beobachters geschoben wird. Neben den Zahlen von 00 bis 59 (bzw. 1 bis 12) befinden sich darauf kleine Bilder, die zum Teil rätselhaft, zum Teil irgendwie lustig (weil unkonventionell) sind. Frech ist allenfalls das Feld für die volle Stunde – da zeigt das Zifferblatt das böse Wort „Fuck“ an.
Natürlich sollen wir auch hierüber einen Bericht schreiben. Hugosson informiert uns außerdem, dass wir für die Klausur unsere Unterlagen verwenden dürften. Im Normalfall heißt das entweder, dass die Klausur Fragen enthält, die nicht sehr tiefgehend sind, oder aber solche, die direkt unser Verständnis der Materie überprüfen sollen. Ich werde bis dahin das Wichtigste wohl noch einmal lesen.
Danach fahren wir getrennt unserer Wege. Die einen nach Hause, andere sonst wohin, und ich will in die Bibliothek. Mein Postfach ist, dem Datum entsprechend, ziemlich voll. Was meinen Blick auch auf die Menge an SPAM lenkt, die ich jeden Tag bekomme. Es sind mittlerweile etwa 20 solche Mails, die meisten davon Werbung, aber auch einige, die keinen sinnvollen Text enthalten. Manche schaffen es trotz Spamfilter in mein Postfach und ich bin bereits am überlegen, ob ich meine Adresse nicht mal wieder ändern sollte.
Ich fahre ins Ito Yôkadô und hole meine Bestellung ab, den „Streetfighter II Animated Movie“. Einen Geburtstagsrabatt will man mir leider nicht gewähren. Dann gehe ich in die Konsolenabteilung und frage dort nach einer japanischen Version von „Command & Conquer“. Die US (NTSC) Version „brüstet“ sich mit der Option, dass man als Passwort den Begriff „Godzilla“ eingeben kann, worauf die Sprache der Truppen auf Japanisch umschaltet. Das funktioniert in der Euroversion (PAL) leider nicht, also lege ich mir doch gleich die japanische Ausgabe zu. Allerdings ist das Spiel nicht auf Lager, was mich bei dem Alter des Spiels auch wenig wundert. Mir erscheint allerdings die Verkäuferin aber ein wenig alt für eine solche Abteilung. Ich muss ihr zuerst erklären, dass es einen Unterschied zwischen „Playstation“ und „Playstation 2“ gibt und dass es sich bei dem gesuchten Spiel um Software auf zwei CDs handelt, und nicht um eine Datenkassette, wie man sie für Nintendo Konsolen verwendet. Die Frau macht ja einen wirklich netten Eindruck, wie so ziemlich alle Kaufhausangestellten in Japan, aber ich kann aus ihrem Gesicht zum Beispiel auch nicht herauslesen, ob sie verstanden hat, was ich gerade gesagt habe, und sie redet in dem Kaufhaus mit all seinen Geräuschen mit einer relativ leisen Stimme. Sie wolle bis morgen herausfinden, ob man das Spiel noch bekommen könne.
Einen Augenblick später erblicke ich in der Nähe der Kasse, an der ich mich gerade befinde, den japanischen John Belushi. Man stelle sich also einen gut ernährten Japaner in einem Anzug vor, wie ihn die Blues Brothers tragen, mit Hut und Sonnenbrille, auch die Frisur mit den Koteletten stimmt – aber mit Strohsandalen an den Füßen. Das sieht so absurd aus, dass es lustig wirkt. Und er wird seinem Äußeren auch in seinem Verhalten gerecht. Der Mann (um die Mitte 20) scheint mir stark von „Dance Dance Revolution“ geschädigt, da er, während sein Kamerad (in normaler Kleidung) gerade etwas bezahlt, zu tanzen beginnt. Und ich rede jetzt nicht von Walzer oder Tango. Schön koordinierte Beinarbeit, aber ich persönlich hätte das vielleicht nicht gerade an der Kasse im Kaufhaus gemacht. Ich hätte ihn nach einem Foto fragen sollen.
Da ich keine Motivation verspüre, bis morgen zu warten, um zu erfahren, ob ich das gewünschte Spiel eventuell bekommen könnte, fahre ich in einen der Spieleläden und frage dort nach. Ja, heißt es da, man könne das Spiel als Neuversion bestellen, also tue ich das. Für den unverschämten Preis von 4200 Yen. Das ist wirklich kein schlechter Preis für ein Spiel, dessen europäische Version man wahrscheinlich bereits in Spielsammlungen zusammen mit drei anderen Spielen für 5 E kaufen kann.
Zum Schluss gehe ich mit Melanie zu Daijô-san essen. Das Ebi-Donburi ist ganz hervorragend, darf ich feststellen. Die CD der Yoshida Brüder schaue ich immer gezielter an, aber es widerstrebt mir auch weiterhin, mir eine CD zu kaufen, ohne vorher mal reingehört zu haben. Ich werde auf der Homepage des Vertriebs mal nach Sampletracks sehen, oder den CD Verleih bemühen.
[1] In diesem Spiel gibt es keinen globalen Handel. Nach etwa zwei Jahren sinken in einer Region die Ölpreise, dann muss man die vorhandenen Quellen stilllegen und mit Hilfe des bereits gewonnenen Kapitals eine Bohrgenehmigung und das notwendige Material woanders kaufen, wo der Preis noch hoch ist. Wenn im zweiten Bohrgebiet der Preis dann verfällt, hat er sich im ersten wieder erholt.
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