Donnerstag, 01.07.2004 – Curry, hausgemacht
Nach dem Unterricht setze ich mich ins Center und sehe mit großer Freude, dass zumindest auf einem der beiden Computer, die ich wegen dauernder Programmfehler und Abstürze klammheimlich formatiert habe, heute wieder ein Betriebssystem installiert wird. Ich finde keine Gelegenheit, den zweiten zerschossenen Rechner ebenfalls auf Neuinstallation zu überprüfen. Immerhin ist jetzt wieder ein Rechner da, der voll und ganz funktioniert und frei von den tausend verwendeten Messenger-, Chat- und Pausenspielprogrammen ist.
Um 13:00 treffe ich Mei; offiziell, um ihre Englischlektion durchzugehen, aber wir sind den größten Teil der Zeit damit beschäftigt, die CDs, die sie sich ausgeliehen hat, in MP3 Sammlungen und weitere Audio-CDs zu verwandeln, während wir nebenher ein paar grammatikalische Angelegenheiten besprechen. Sie hat von Computern so viel Ahnung wie ich von Chinesisch – ich kann ein paar Zeichen lesen und hin und wieder eine Schlagzeile in einer chinesischen Tageszeitung richtig interpretieren, aber mit dem Ganzen kann ich nichts anfangen. Also übe ich mit ihr Learning-by-Doing, indem ich ihr sage, wie das Programm funktioniert und welche Begriffe sie sich merken muss, um eine CD und ein Cover dafür herzustellen, und sie vollzieht die Schritte selbst nach. Wenn man das zweimal gemacht hat, kann man es und im Notfall kann sie die Spracheinstellung der Nero Benutzeroberfläche auch auf Chinesisch umschalten.
Um etwa 15:00 kommt dann Frau Maeda herein und knappe zehn Minuten später fahren wir zu ihr nach Hause. Sie wohnt näher an Nakano als an der Universität, und wir stellen fest, dass wir bereits mehrfach während unserer Spaziergänge im vergangenen Herbst an ihrer Haustür vorbeigegangen sind.
Jetzt hätte ich eigentlich gehofft, etwas aktiver in die Herstellung des Currys einbezogen zu werden, aber stattdessen sitze ich auf der Couch rum, sehe Schildkröten in ihrem unappetitlich trüb-grünen Aquarium zu und versuche, die „Asahi Zeitung für Grundschüler“ zu lesen. Das ist auch ganz gut möglich, weil alle Kanji mit Lesungen ausgestattet sind, von daher kann ich die Wörter, die ich nicht kenne, schneller nachschlagen. Es finden sich darin Artikel über aktuell laufende Kinderserien, auch über „SailorMoon“, in Form von Interviews, Hintergrundberichten und Zusammenfassungen von Episoden. In einer der Ausgaben ist zu lesen, dass die Senshi einen Live-Auftritt in Tokyo hatten, den ich an sich gerne gesehen hätte. Und ich habe nichts davon gewusst und hatte keine Chance, auch nur eine Sekunde davon zu sehen! Ich hadere mit dem Schicksal, aber ich habe erst das allererste Mal das Gefühl, in Hirosaki etwas verpasst zu haben.[1] Aha, und Luna heißt also „Koike Rina“. Dann sollte ich ihre Homepage auftreiben können.
Ich entdecke während meiner „Couch-Periode“ die Vorteile einer Gastfamilie, deren Kinder nicht mehr ganz so das sind, was man „klein“ nennt. Jin Yûmiko ist noch 11 und ihr Bruder Yûtarô inzwischen 15 Jahre alt. Er kriegt zwar die Zähne nicht so sehr auseinander, wie ich mir das wünschen würde, aber ich kann auch mit Yûmiko Gespräche auf einer für mich befriedigenden Stufe führen. Die Kinder der Familie Maeda dagegen sind schätzungsweise 1 (Riku, m), 6 (Minato, w) und 8 Jahre alt (Ai, m). Die sind zwar alle ganz niedlich, aber ihr Unterhaltungswert strebt für mich gegen Null. Das Baby fällt ja völlig flach, und ich beschäftige mich gar nicht gerne mit Kleinstkindern, weil ich nicht weiß, was ich mit ihnen anfangen soll und ich verstehe auch ihre Körpersprache nicht. Minato, die Schwester in der Mitte, weiß auch nicht, was sie mit einem wie mir anfangen soll und sieht lieber fern (und die Fragen, die ich ihr zum Programm stelle, kann sie mangels Hintergrundwissen nicht beantworten), und der achtjährige Ai (dessen kurzen Namen man mit einem unglaublich komplizierten Kanji schreibt) bedenkt mich mit einer Nichtbeachtung, aus der ich schließen möchte, dass er Angst vor mir hat. Yûmiko dagegen zeigt ja überhaupt keine Scheu, sich mit mir zu beschäftigen und sie zieht auch immer wieder etwas aus ihrer „Wunderkiste“, um zu verhindern, dass ich mich langweile. Es muss ein besonderes Talent von ihr sein.
Es läuft dann also eine Serie nach der anderen herunter, darunter ein japanisches Gegenstück zur „Sesamstrasse“ und „Tensai Terebi-kun MAX“ („Terebi“ = „Television“), wobei es sich um eine Show mit einer Handvoll singender und tanzender Kinder beiderlei Geschlechts zwischen 9 und 13 Jahren handelt, die weder singen noch tanzen können, und die Live-Band im Hintergrund ist schon geradezu bedauernswert. Was machen die denn da? Irgendwelche Grundschüler haben ihre Liebesgeständnisse an die Redaktion geschickt und dieser untalentierte Haufen da bringt die unlyrischen Texte mit Hilfe der „Rockband“ in eine am Stück gesungene Form. Also, das solltet ihr noch üben… das reicht nicht einmal für „Morning Musume“.[2]
Wir fahren zwischendurch in den Supermarkt, weil noch irgendwelche Zutaten fehlen. Dort stelle ich zum ersten Mal bewusst fest, wie viele Serviceangebote so ein japanischer Supermarkt bietet: Da stehen drei verschiedene Wagen, die für die Mitnahme von Kleinkindern geeignet sind und einige Rollstühle für ältere Leute, die es vielleicht nötig haben. Auch der Maruesu nahe der Uni bietet Rollstühle für Leute mit körperlichen Defiziten an. Melanie entdeckt dabei einen großen „GEO“ Laden, wo man CDs und Spiele nicht nur kaufen, sondern auch leihen kann, und wir machen einen Abstecher dorthin. Anbei danke ich Maeda-san für ihre Geduld, die uns ja begleitet und deren Essen wir verzögern. Dort fällt mir exakt die „Drifters“ CD auf, die mir der Verkäufer erst gestern im Ito Yôkadô gezeigt hat. Ich schätze, ich sollte hier Mitglied werden.
Dann kehren wir wieder zur familiären Küche zurück und das Fernsehprogramm hat mich wieder, nachdem mir Ai sämtliche Zeitungen „entwendet“ hat. Ich falle vor Langeweile beinahe vom Sofa, bis mich dann das Essen selbst vor dem Einschlafen rettet. Das Curry ist sehr gut geworden, weitaus besser als das, was man als Instantmix kaufen kann. Allerdings steht Curry nicht in der „Top 10 der Gerichte, die ich am liebsten esse“, also ist es an sich „nur“ ein herausragendes Essen unter den vielen Gerichten, die ich halt esse.
Links von mir sitzt Riku, das Kleinkind, das offenbar mit großer Begeisterung (Kirsch-) Tomaten isst, was ich ungewöhnlich finde, weil ich glaube, dass die meisten Kinder Tomaten wegen des glibberigen Inhalts überhaupt nicht mögen. Allerdings landen auch nicht wenige der kleinen Tomaten auf dem Fußboden, weil ein Einjähriger noch keine ausgereifte Finger-Augen-Koordination hat, und dieser hier auch nicht mehr die ganze Zeit gefüttert wird. Er entwickelt auch eine gewisse Eigeninitiative beim Essen, indem er die Tomaten, den Broccoli oder den Blumenkohl aus dem Salatteller in die Currysoße stopft.
Der Ehemann kommt gegen Ende des Essens nach Hause und ich bin direkt erstaunt, wie gut sich der Mann gehalten hat. Er sieht aus, als sei er gerade Dreißig geworden – was natürlich nicht unmöglich ist mit einem ältesten Kind von nur acht Jahren. Seine Frau dagegen sieht mir bereits deutlich nach über Vierzig aus.
Während des kurzen Gesprächs entdecke ich unter der Schutzfolie auf dem Esstisch drei Postkarten aus Deutschland – von Luba. Offenbar waren die Maedas ihre Gastfamilie gewesen.
Wir verabschieden uns gegen acht Uhr, nicht zuletzt wegen meines Magens, der beginnt, seinen Inhalt unkontrolliert wie eine Waschmaschine herumzuwälzen, bevor er dann auf Durchzug schaltet und ich spüre, wie mein Essen im Schnelldurchlauf durch meine Eingeweide rutscht. Wir werden nach Hause gefahren, ohne den Umweg über die Universität zu machen, wo unsere Fahrräder stehen, weil die Familie Maeda ja nicht sehr weit von uns weg wohnt. Es wird uns nicht umbringen, morgen früh zu Fuß zu gehen.
Es dauert nicht lange, bis ich ins Bett gehe, weil ich vor lauter Langeweile heute hundemüde geworden bin. Was nicht bedeutet, dass ich den Ausflug bedauern müsste, nur will Curry immer so unglaublich schnell wieder raus…
[1] Diese Darbietung wurde natürlich aufgezeichnet und als „Kirari Super Live“ veröffentlicht.
[2] Morning Musume ist nicht so schlecht, aber halt langweilig.
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