Donnerstag, 18.12.2003 – Gesteuerter Volkszorn?
Ich bin beim Herrichten des Essens gestern Abend der Empfehlung von Andreas gefolgt und habe eine kleine Handvoll kleingehackte Nüsse in das Kochwasser des Reises getan. Das Ergebnis zeigte sich heute Morgen. Der Reis hat eine bräunliche Farbe angenommen und riecht sehr appetitlich. Ich finde den Geschmack sehr ansprechend, aber wie üblich kann Melanie darauf verzichten. Das Essen, das ich koche, findet in den meisten Fällen ihren Beifall, aber beim Reis ist sie sehr penibel. Was anderes als Reis und Wasser will sie nicht im Topf sehen, und ich habe nach zähen Verhandlungen immerhin eine Prise Salz durchsetzen können. Dem Versuch mit den Nüssen hat sie zugestimmt. Das finde ich gut von ihr. Schließlich darf man sich erst nach dem Probieren über etwas beschweren. Ohne einen Bissen geschmeckt zu haben schon zu sagen „Nein, das möchte ich nicht essen“, finde ich schlicht und ergreifend beleidigend. Aber gut, sie mag die Nüsse im Reis nicht. Dann wird die Packung mit der Mischung ja eine Weile halten.
Eigentlich wollte ich am Morgen noch den Nassbereich reinigen, aber es wird zu spät dafür, wenn wir den Termin mit Masako einhalten wollen. Um zehn Uhr treffen wir Masako und gehen mit ihr noch einmal ein paar Punkte ihrer Katastrophenmeldungen durch, die sie dieses Mal vorliest, anstatt einen Kassettenrekorder zu verwenden. Warum sie das macht, verstehe ich nicht, aber wenn es ihrer Abschlussarbeit nützt, warum nicht? Und der Test dauert tatsächlich nicht sehr lange. Allerdings vergesse ich, auf die Uhr zu sehen, um die Zeit festhalten zu können.
Danach hängen wir im Center rum. Positiver kann man es nicht benennen. Um 14:00 gehe ich in die Bibliothek und schreibe zwei Berichte, bevor ich um 16:00 Yui in der Halle treffe. Aber wir verlegen sofort in die Mensa, weil sie hungrig ist. Und da mir außer dem Unterschied zwischen „Koitsu“ und „Aitsu“ keine dringenden Fragen auf der Seele brennen, wird der Dialog recht entspannend, abgesehen von meinen Vokabelschwächen.
Sie bittet mich darum, ihr zu zeigen, wie man Musik aus dem Internet herunterladen kann. Ich erkläre ihr, dass das nicht sonderlich legal sei und dass sich die Gesetze wie auch die Spionagesoftware deutlich verstärkt hätten, aber sie sagt, sie suche dringend das eine oder andere Lied, ohne dafür gleich die ganze CD kaufen zu müssen. Während des Gesprächs gehe ich noch davon aus, dass sie von ihrem Privatrechner redet, falls sie einen besitzt, der mir bei meinem Besuch entgangen sein könnte. Aber nein, sie meint den Unirechner. Ei, ei, ei… durch den praktischen Versuch mache ich ihr deutlich, dass sie zum Herunterladen von mp3-Daten eine Downloadsoftware installieren muss und dass sie zum Installieren von was-auch-immer auf dem Unirechner sogenannte Administratorrechte benötigt, die man als 08/15-Student natürlich nicht hat. Außerdem könne das Rechenzentrum, wenn die Installation möglich wäre, gegen illegale Downloads vorgehen, weil ja einwandfrei feststellbar ist, wer zu welchem Zeitpunkt was heruntergeladen hat. Und mich wundert dabei doch sehr, dass es in Trier (oder sonst wo) noch nicht zu Verhaftungswellen wegen Verstoßes gegen das Urheber- oder Kopierrecht gekommen ist… und mir soll keiner erzählen, dass nicht auch Dinge heruntergeladen werden, die schlicht und ergreifend als illegal einzustufen sind, und das wegen der Art der Inhalte und nicht wegen des Downloads an sich. Aber ich weiß ja nicht, wie wichtig das Rechenzentrum in Hirosaki seine Aufgabe als Datenwächter nimmt.
Um 18:00 will ich eigentlich nach Hause gehen, aber es regnet in Strömen, also bleibe ich noch, bis der Regen (50 Minuten später) endlich aufgehört hat. Am Abend laufen die jeweils letzten Episoden von „TRICK“ und „Manhattan Love Story“. „TRICK“ hat kein wirkliches Ende, also ist es durchaus möglich, dass weitere Staffeln nachfolgen, nachdem die bis heute gelaufene ja offenbar schon die dritte gewesen ist, wie Alex mir irgendwann einmal mitgeteilt hat. „MLS“ dagegen hat ein definitives Ende und alle Stammgäste des Cafés haben einen Partner fürs Leben gefunden.
Mittlerweile hat sich auch geklärt, warum in Peking derzeit die Wellen hoch schlagen. Die japanischen Studenten, gegen die sich der Zorn richtet, waren Teil einer multikulturellen Party, wie man sie, im Prinzip, auch in Hirosaki veranstaltet. Auch sie hatten sich eine kleine Nummer ausgedacht, die dazu dienen sollte, ihr Land (Japan) vorzustellen. Die Japaner (alle männlich und um die 20 Jahre alt) hatten hierzu kurze Hosen und quietschbunte BHs getragen. Die BHs waren mit Papierschnipseln gefüllt und waren weiterhin mit Kondomen verziert. Auf den Rücken hatten sie sich (in Kanji natürlich) „Japan + China“ geschrieben, umrahmt von einem großen Herzen. Die Papierschnipsel waren wohl mit kurzen Glückwünschen beschriftet und ins Publikum geworfen worden.
…
Ja, das ist alles. In Deutschland (und wohl auch in Japan) wäre das schlimmstenfalls als geschmackloser Scherz durchgegangen, und auch nur in dem Fall, dass wir von einem sehr konservativen Publikum ausgehen – junge Leute dürfen das, denke ich. Aber nicht in China! Und wie man das in (zumindest offiziell) kommunistischen Staaten so macht, hat sich sofort ein das Volk repräsentierender Mob organisiert, um diese Beleidigung anzuklagen. Und offenbar auch zu sühnen. Tagelang. Ich kann nicht verstehen, warum wegen eines solchen Unsinns gleich 2000 Leute auf die Straße gehen, „Japaner raus!“ brüllen, und auch noch an den entsprechenden Wohnungen randalieren müssen. Die Hauswand wurde beschmutzt, die Scheiben eingeworfen. Was das soll, ist weder mir noch anderen Leuten in meinem Umfeld verständlich. Auch nicht den Chinesen, die ich kenne.
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