Samstag, 25.10.2003 – Oden Tabehôdai („Oden – All you can eat“)
Heute ist mal wieder Samstag – das heißt, wir sitzen um 07:30 gespannt vor dem Fernseher, um die heutige Episode von „SailorMoon“ anzusehen. Leider haben wir nicht die Möglichkeit, wie Ricci in Tokyo die Serie einfach zwei Tage nach Ausstrahlung aus dem Netz zu ziehen und dabei auch noch in den Genuss von Untertiteln zu kommen. Wir nehmen die Serie zwar auf, aber ich werde bei Gelegenheit an Ricci herantreten, um mich mit einer CD-Version beglücken zu lassen. Hm… da Ricci diese Post ebenfalls liest, habe ich das wohl hiermit getan.
Heute schaltet sich Nephlyte in die Handlung ein, und ich glaube, die Bösen und die Guten sind auf der Suche nach dem Mondkristall. Das heutige Opfer ist eine weibliche VIP, die, aus welchem Grund auch immer, öffentlich ihren Geburtstag in Form einer Kostümparty feiert. Wie passend. Und was sieht man da noch? Ami in einem Cat-Maid-Kostüm… ah-hmm… und Usagi in einem Bärenkostüm. Natürlich ist Tuxedo Kamen (der ständige Retter SailorMoons in Not) auch da. Er fällt in dieser Gesellschaft ja nicht auf. Selbiges gilt für Rei in ihrem rot-weißen Miko-Outfit, das sie um eine rote Augenmaske „bereichert“ hat. Sie hat noch nicht so recht akzeptiert, was sie eigentlich ist (SailorMars) und ist aus mir nicht näher bekannten Gründen auf eigene Faust hergekommen.
Und – wie sollte es anders sein!? Durch die ihr angeborene Ungeschicklichkeit stößt Usagi mit Mamoru zusammen und hält ihn auch gleich fest. Ihr Kommentar: „Ii Nioi wa…“ („Der riecht aber gut…“).
Der Rest der Handlung ist wieder reine Routine. Ein Monster hat seinen Auftritt, und es wird gekämpft. Diesmal auch Tuxedo Kamen und Nephlyte. Auf dem Hochhaus. Mamoru schlägt Nephlyte die Beute (ein Edelstein natürlich) aus der Hand, und der Kasten droht vom Dach in die Tiefe zu fallen. Usagi fängt das Kästchen, verliert aber das Gleichgewicht, wird von Mamoru noch festgehalten, aber dann stürzen beide vom Dach. Ohne fremde Hilfe. Nephlyte hat offenbar kein Interesse daran, sich die Situation zu nutze zu machen, obwohl auch Mars und Merkur schön an der Dachkante stehen und geradezu dazu einladen, sie vom Dach zu schubsen. Die schauen Mamoru und Usagi beim Fallen zu. Doch, Wunder über Wunder, SailorMoons Mondstab leuchtet und umfängt die beiden Todgeweihten mit einer Kugel aus Licht und sie schweben beide sanft zur Erde.
Rei akzeptiert schließlich ihre Rolle als SailorMars.
Und ansonsten herrschen hier seltsame Sitten unter den Senshi. Von Verschleierung und Geheimhaltung haben die offenbar noch nie gehört. Die reden sich nach der Verwandlung immer noch locker mit den richtigen Namen an, und man müsste ja blöd sein, nicht irgendwann eins und eins zusammenzuzählen. Aber wenn Mamoru das hört, ist das ja nicht so wild, schließlich gehört er demnächst zur Familie, und außerdem wechselt er mit den Kleidern auch immer noch das Gehirn, wie man ja weiß.
Über Usagis Mutter möchte ich auch noch etwas sagen, ich glaube, das habe ich noch nicht getan. Anders als die ruhige und besonnene Mutter aus dem Anime ist die hier präsentierte Dame eine eher lebhafte Natur. Nicht so sehr wie die Mutter von Tôru („Fruits Basket“) oder Sana („Kodomo no Omocha“), aber sie geht mir ihrer Tochter doch sehr herzlich um.
Sehr auffällig ist Aino Minako. Ich habe wohl erwähnt, dass man ihr Alter Ego, SailorV, schon über Tokyos Dächer hat flitzen sehen, aber in dieser Episode fällt wieder ein wenig mehr Licht auf Minako selbst. In dieser Serie ist sie keine Schülerin, die ein Idol, ein Star, werden möchte, oh nein! In dieser Serie ist sie eine junge Frau im Schülerinnenalter, die bereits ein Star ist und deren CDs auf Partys laufen. Während der Kostümparty gibt Usagi dem DJ einen Zettel mit einem solchen Musikwunsch.
Und das Lied, von Minako natürlich, ist eine irre Anspielung: Minako hat einen Song aus den 80ern mit dem Titel „C’est la Vie!“ gecovert. Transkribiert man das in japanische Katakana (und ich sehe die japanologisch Begabten bereits ungläubig den Kopf schütteln), steht da in etwa „SE-RA-Vi-“. Schreibe ich das nun unter Beachtung des Kontextes in die englische Sprache um, haben wir: „SailorV“. Ist das nicht toll? Und die singen das andauernd und keiner merkt’s… Leider ist noch keine der übrigen Senshi dazugekommen. Auch nächste Woche sieht es schlecht aus, da die Vorschau nichts dergleichen meldet. Also noch keine Makoto.
Inzwischen ist es 14:30 Uhr und ich gehe mit Melanie ins Ito Yôkadô. Melanie will dort noch ein paar mehr oder weniger lustige Bilder von uns machen, zur Darstellung unserer trauten Zweisamkeit und unseres Irrsinns, den wir täglich an den Tag legen. Ich glaube, „Purikura“ (von engl. “Print Club“) heißt diese Sitte, die unter pubertierenden japanischen Jugendlichen sehr verbreitet ist. Ich komme mir ziemlich dämlich dabei vor, erst für eine Reihe Bilder zu posieren und sie dann zu bearbeiten. Das heißt, es werden 14 Bilder gemacht und man sucht sich die sechs besten aus. Diese sechs kann man dann bearbeiten: Man kann irgendwelche Hintergründe einfügen, kann Sternchen und Sprechblasen und allerlei anderen kariesfördernden Kram einfügen, damit es auch süß und niedlich ist und denen zur Freude gereicht, denen man diese Bilder dann zuschickt, meist als Klebebildchen in Briefen und so. Ich könnte diese ganzen Apparate auf den Mond schießen, aber wie sollte ich Melanie das verweigern?
Im Anschluss will Melanie noch die Abteilung nach Merchandising durchsuchen. Ich nutze die Zeit und freunde mich mit dem „Ashita no Joe“ Automaten an. „Ashita no Joe“ ist ein Sport-Anime, bei dem es ums Boxen geht. Dem entsprechend ist der Automat gestaltet. Und was macht man wohl damit, na? Ich sehe den Pimpfen eine Weile zu. Manche von denen sind so klein, dass der Boxhandschuh an dem Automaten so groß ist wie der eigene Kopf. Man wirft 100 Yen in den Automaten und sucht sich einen Gegner aus. Die Gegner sind nach „Gewichtsklassen“ unterteilt, von 150 kg aufwärts. Das heißt aber nicht, dass die Gegner so viel wiegen.
Damit hat es eine andere Bewandtnis: Am Kopf des Automaten ist ein großer Bildschirm angebracht, auf dem das Bedienmenü dargestellt ist und der mit Szenen aus der Serie das Ganze untermalt. Vor dem Bildschirm befindet sich eine Vertiefung. Aus dieser Vertiefung taucht zu gegebener Zeit ein wattierter Kolben auf. Sobald dann auf dem Bildschirm „FIGHT“ zu lesen ist, schlägt man zu. Idealerweise mitten in den Zielkreis, der auf den Kolben aufgemalt ist. Der Kolben wird auf diese Weise in die Vertiefung zurückgeschlagen. Dann kann man auf dem Bildschirm ablesen, wie viel Schlagkraft in dem Schwinger steckte. Man hat drei Schläge.
Und damit löst sich das Geheimnis der Gewichtsklassen der Gegner. Um einen Gegner der Klasse „350 kg“ zu besiegen, muss man mit drei Schlägen insgesamt 350 kg oder mehr Schlaggewicht an den Mann bringen, pro Schlag also knapp 120 kg. Der Kleine vor mir schafft pro Schlag 60 bis 80 kg, bei einer Körpergröße von vielleicht einem Meter. Und dennoch wählt er immer wieder den 350-Kilo-Gegner. Und er lässt es auch nicht sein, als ihm sichtlich das Handgelenk wehtut. Blöd oder determiniert? Schließlich hat er aber doch genug. Na dann.
Ich werfe mein Geld in den Einwurfschlitz und sehe mir die Gegner an. Ich wähle ebenfalls den 350er Gegner. Ich ziehe meinen Pullover aus und spüre die Blicke von einem halben Dutzend kleiner Japaner.
Dann Schlag auf Schlag: 155, 172 und 148 Kilo reichen für den Gegner. Und es macht direkt Spaß. Also versuche ich eine weitere Runde an dem 450er Gegner. Aber den verpasse ich um 15 kg. Beim vorletzten Schlag hat sich mein Handgelenk gemeldet und das verhindert, dass ich mit dem letzten zu stark zuschlage. Man sollte also das Handgelenk vorher etwas aufwärmen, glaube ich.
Ich sehe die Gegnerliste noch einmal durch und entdecke, dass es hochgeht bis 800 kg!? Ah… ich glaube eigentlich, ein kräftiger Kerl zu sein, und einen Durchschnitt von 170 kg pro Schlag traue ich mir zu. Ich glaube, das ist auch gar nicht wenig. Aber wie zur Hölle soll man denn 270 kg Druck pro Schlag hinlegen, wenn man nicht gerade ein ausgebildeter Kampfsportler ist? Ich sehe mir die Highscore Liste mal an. Mit meinem Ergebnis von rund 475 kg komme ich auf den sonnigen 51. Platz in den „Top 100“!? Ich bin Durchschnitt!? Was für Tiere kommen eigentlich hier sonst noch her?
Interessant ist hier das Leistungsverhältnis von Kindern und Erwachsenen. Wie viel kann jemand wiegen, der nur einen Meter groß ist? Vielleicht 30 kg? Gehen wir doch von 30 kg aus. Damit würde der Knirps mit einer Schlagkraft von etwa 70 kg mehr als 2,3-fache seines Körpergewichtes schaffen. Bei meinem Gewicht von 94 kg und einer Schlagleistung von 160 kg sehe ich da relativ arm aus, betrachtet man das Verhältnis: Das 1,7-fache meines Körpergewichtes haue ich um, aber um mit dem Kleinen mitzuhalten, müsste ich auf ca. 220 kg kommen. Die verhältnismäßige Leistungsfähigkeit von Kindern ist also ganz beachtlich.
Dann ist es auch schon Zeit, zum Bahnhof zu gehen, um die übrigen Deutschen zu treffen. Wir sind bei Professor Fuhrt zum Oden Essen eingeladen, aber Melanie und ich haben keine Ahnung, wo Prof. Fuhrt wohnt. Also könnten wir nicht alleine hingehen. Und ich habe Hunger mitgebracht! Vom Bahnhof aus sind es zur Wohnung des Professors und seiner Gattin, Tanaka Miyuki (ebenfalls Lehrerin an der Universität, für Japanisch in der Unterstufe), nur wenige Minuten, und als wir ankommen, befindet sich die Zubereitung des Essens in der Endphase. Es gibt zwei Arten Salat, darunter ein interessanter Tofu-Salat, und zwei Arten von Omelett als Vorspeise. Und danach gibt es Oden. Oden besteht zum Großteil aus Fischpaste, die auf verschiedene Arten verarbeitet wurde, wie ich erfahre – und was in dem Topf unterschiedlich aussieht, schmeckt auch unterschiedlich. In dem Topf befinden sich außerdem Kartoffeln und ein Stück Daikon (Riesenrettich), außerdem eine Art Seetang (mit Knoten drin) und Mochi-Säckchen mit Füllung (bei Mochi handelt es sich um zu Teig gestampftem Reis). Diese Säckchen werden oben zugeschnürt (alles essbar) und mitgekocht. Und jetzt ist mir auch klar, warum jedes Jahr einige Leute an Mochi ersticken… man kann das Zeug als Kleister verwenden! Ich habe Probleme, die gekaute Masse zu schlucken, weil sie sich nicht aus meinem Mundinnenraum lösen will!
Der Nachtisch besteht aus Obst, Äpfel, Mikan und Trauben, Mark hat auch Gummibärchen aus Trier mitgebracht, darunter auch die kleinen Teufel mit Ingwer-Beimischung.
Wenn ich das richtig verstehe, war Prof. Fuhrt einer der ersten drei Studenten in Trier, die Japanologie dort studierten, also im ersten überhaupt möglichen Jahrgang – noch vor der Zeit von Katsuki-sensei, die vor etwa 25 Jahren in Trier angefangen hat. Ich bin derzeit nicht sicher, ob überhaupt schon welche unserer heutigen Lehrkräfte zu diesem Zeitpunkt in Trier unterrichtet haben. Mein Mangel an biografischer Bildung ist beklagenswert. Ich glaube mich nur zu erinnern, dass Frau Professor Gössmann 1987 nach Trier gekommen ist, und dass Shitaba-sensei und Frau Professor Scholz 1997 oder kurz danach in Trier zu lehren begonnen haben. Aber ich will mich dafür nicht an die Tempelmauer nageln lassen. Ich weiß, dass mein Gedächtnis nicht immer das allerbeste ist und sich am leichtesten Dinge merkt, die eigentlich ziemlich unwichtig sind.
Gegen Mitternacht verabschieden sich Mareike und Tanja, und auch Marc, weil seine Freundin irgendwo abgeholt werden möchte und, äh, offenbar nicht mehr ganz Herrin ihrer selbst ist. Wenige Minuten später gehen auch Melanie und ich, nur Ramona und Luba bleiben wohl noch bis um 0100, wie man mir später mitteilt. Nein, so gemütlich es auch ist, ich bin so vollgefressen, dass ich eigentlich nur noch schlafen will, außerdem bin ich ja ziemlich früh aufgestanden. Auf dem Rückweg entdecken wir dank Stadtkarte, dass wir doppelt so schnell zu Hause sind, wenn wir nicht wieder am Bahnhof vorbeigehen. So dauert der gesamte Weg vielleicht 20 bis 30 Minuten.
Wir entdecken auf der Strecke einen Automaten mit der Aufschrift „Tsuri-Esa“. Das wäre nicht weiter interessant gewesen, wenn in dem Automaten nicht die sonst übliche Auslage gefehlt hätte, da standen nur Preisschilder im Bereich von 500 Yen. Ich merke mir den Begriff und stelle später fest, dass es sich um einen Automaten handelt, an dem man Fischköder ziehen kann. „Tsuri“ heißt „Angeln“ und „Esa“ ist offenbar „der Köder“1. Nach Getränken, Zigaretten, Reis und Eiswürfeln kann man also auch Fischköder aus dem Automaten beziehen. Wenn ich nach Tokyo komme, muss ich mal Ausschau nach anderen Geräten halten. Vor Jahren ist im deutschen Sensationsfernsehen gezeigt worden, dass es in Japan auch Automaten geben soll, an denen man eine kleine, heiße Pizza bekommen kann. Ich will allerdings nicht so recht glauben, dass ein solches Gerät weite Verbreitung gefunden hat. Ich habe auch so genannte italienische Restaurants gesehen, auf deren Speisekarten Pizza allerdings völlig fehlte. Spaghetti dagegen sind vorhanden, offenbar kann man die Bestandteile einer Nudelsoße besser bekommen als den Belag einer Pizza. Oder der Preis dafür wäre einfach unerschwinglich. Was mich keineswegs wundern würde.
1 Genau genommen handelt es sich bei „esa“ um „Tiernahrung“, was Futter und Köder mit einschließt.
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