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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

24. Oktober 2023

Freitag, 24.10.2003 – Men at Work

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 10:17

Die Unzuverlässigkeit der Computer nagt weiterhin an meinen Nerven. Computer, die gestern noch problemlos druckten, sagen heute, keine Verbindung zum Drucker zu haben. Es ist also völlig sinnlos, sich eine Maschine auszugucken, an der man bevorzugt arbeiten möchte, weil die Funktionsfähigkeit der Maschinen ständig im Wandel begriffen ist. Sehr buddhistisch eigentlich.

Am frühen Nachmittag lese ich, dass es in Riccis Wohnheim gebrannt hat und dass nur eine Handvoll Leute sich dazu hat überreden können, das Gebäude zu verlassen. Die ganzen Asiaten blieben offenbar im Gebäude. Als ob es in Ostasien nie brennen würde. Aber ich erinnere mich, dass auch die Chinesen im alten Trierer Petrisberg aus den Zimmern getreten werden mussten, weil sie gar nicht einsehen wollten, wegen eines Feueralarms (im Januar 2001) das warme Zimmer zu verlassen. Muss genetisch bedingt sein. 🙂

Kurze Zeit darauf werde ich selbst mit einem Feueralarm konfrontiert. Ich bin in die Bibliothek gegangen, um mir die Zeitungen anzusehen. Es liegt ein Exemplar der „Japan Times“ aus, in englischer Sprache. Nachdem ich drei Viertel der Zeitung gelesen habe, höre ich von den Computern her, die vielleicht zehn Meter weiter stehen, jemanden laut etwas rufen. Ich schaue hinüber und sehe einen Asiaten von seinem Stuhl aufspringen und zum Alarmknopf rennen (fünf Meter von ihm entfernt). Er drückt den Knopf, der Alarm wird ausgelöst (eine mechanische Glocke) und dann verschwindet er mit einem breiten Grinsen, aber ebenso eilig, in den Keller.

Ich blicke unschlüssig in die Runde, wie einige andere ebenfalls. Zuerst passiert gar nichts. Keiner macht Anstalten, sich irgendwie anders zu verhalten. Ich sehe verwirrt einen der Mitarbeiter an. Der geht zu dem Alarmsystem, als sei das der alltäglichste Vorgang seines Berufslebens und schaltet den Alarm ab. Noch immer passiert nichts. Zu diesem Zeitpunkt gehe ich davon aus, dass der Fall damit beendet sei. Aber die darauf folgende Durchsage ist wohl systembedingt automatisch: Nicht, dass ich viel davon verstehen würde, aber „Kaji“ („Brand“) und „Tatemono wo dete kudasai“ („Bitte verlassen Sie das Gebäude“) sind recht eindeutig. Die Letzten werden die Ersten sein. Die Studenten, die sich ganz hinten im Gebäude aufhalten, verlassen zuerst das Gebäude, weil wir hier ganz vorne, Augenzeugen des schlechten Scherzes, wissen, dass es nicht brennt, wir folgen aber der Herde. Außerdem wird das Gebäude der Vorschriften wegen tatsächlich zugemacht. Also gehen wir raus. Dabei stolpere ich über einen Schwachsinn fatalen Ausmaßes, im wörtlichen Sinne: Am Fuße der Treppe, die in das Gebäude führt, befindet sich an Sonn- und Feiertagen eine Kette mit einem Schild, auf dem zu lesen ist, dass die Bibliothek geschlossen ist. Und der irre Hausmeister hat jetzt diese Kette schon aufgespannt, bevor alle das Gebäude verlassen haben, damit keiner mehr reingeht. Und das ist nicht lustig. Wenn es tatsächlich brennt und es jemand zu eilig hat, fällt er über diese Kette, die perfekt in Höhe der Unterschenkel hängt. Im Falle einer Panik könnte es Tote geben. Nach dieser Erfahrung bleibt mir nur der Weg zurück ins Ryûgakusei Center, und danach der Rückweg nach Hause.

Dort fällt mir der Straßenzustand ins Auge. Eigentlich wäre dies kein Anlass, einen Eintrag in das Tagebuch vorzunehmen, aber die Unterschiede zu der Situation in Deutschland erscheinen mir im Nachhinein doch zu auffällig, um nicht doch ein paar Worte darüber verlieren zu wollen.

Vor zwei Tagen bereits waren in der Parallelstraße Schnitte in der Asphaltdecke zu sehen. Dies sind meiner Erfahrung nach deutliche Anzeichen dafür, dass demnächst ein Bautrupp anrücken wird, um etwas auszubessern. Ich machte mich also seelisch und moralisch auf etwa zwei Wochen Baulärm gefasst, der Länge der Schnitte nach zu urteilen. Gestern Morgen ging es auch gleich los. Als wir uns auf den Weg zur Uni machten, waren die Arbeiter bereits am werkeln, mit LKW und Bagger und Presslufthammer und allem, was man so braucht, um an eine unterirdische Leitung zu kommen.

Aber die Sache läuft hier etwas anders als in der deutschen Heimat. Wir kamen nach Anbruch der Dunkelheit wieder zurück und die Männer arbeiteten immer noch, mit Hilfe von Halogenscheinwerfern. Ein etwa zehn Meter langer Abschnitt der Straße war aufgerissen. Wenn man nun aus Deutschland ein relativ negatives Bild von Bauarbeitern hat („Proleten“), dann wurde ich hier angenehm überrascht. Der Bauabschnitt befand sich genau vor der Einfahrt zu unserer Nebenstraße. Wir schauten uns etwas verwirrt um, weil wir auf den ersten Blick nicht erkennen konnten, wie wir denn nun nach Hause kommen sollten, 50 Meter vor dem Ziel. Aber dann kam auch schon einer daher, mit seinem rot leuchtenden Dirigierstab und führte uns mit höflichem Japanisch durch die Baustelle. In Deutschland muss man sich den Weg selber suchen und die Sprache der Arbeiter ist… realistisch volksnah. Na ja, sie sind das, was man herablassend „das Volk“ nennt, wenn man Abitur hat und sich von eben „solchem Volk“ abheben möchte. (Ich bitte darum, das nicht zu ernst zu nehmen. Spaß muss sein.)

Am folgenden Morgen, also heute Morgen, war nichts mehr davon zu sehen, sieht man von dem frischen Asphalt ab. Offenbar wird alle paar Tage ein Abschnitt bearbeitet und am selben Tag wieder zugemacht, um ein minimales Verkehrshindernis zu bilden. Und statt Ampeln hat man eben zwei Leute mit Signalstäben, die den Verkehr an der Baustelle vorbeilotsen.

Das hiesige System sagt mir irgendwie mehr zu, als die tagelang verdreckten und halbgesperrten Straßen in Deutschland. Man dürfte nur in der Heimat weniger Verständnis für die Personalpolitik haben, da Ampeln auf Dauer billiger sind als zwei Arbeiter für die Verkehrsregelung.

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