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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

21. Oktober 2023

Dienstag, 21.10.2003 – „Obiwan-sensei wa omae ni koto wo takusan oshiete-ageta!“ to iimasu ka?

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:45

(Das bedeutet: “Sagt man so (auf japanisch) Obiwan hat Dich viel gelehrt?”)

Ich stelle fest, dass Yamazaki-senseis Unterricht besser wird, in meiner subjektiven Wahrnehmung. Das gemeinsame Aufsagen von Sätzen lässt deutlich nach, es kann also nicht nur Gewöhnung sein. Dann kann ich die Angelegenheit viel entspannter angehen, wie mir Kashima-sensei das von Anfang an geraten hat.

Danach schreibe ich eine weitere Mail, die durch einen „Time-out Error“ in den Tiefen des WWW verschwindet. Interessanterweise rege ich mich nicht darüber auf. Shit happens, und vom Grollen bekommt man doch nur Magengeschwüre, frei nach der Richtlinie meines „alten“ Feldwebels Ingolf „Ingo“ Diete:

Schwarz, manche Dinge sind so beschissen, dass man wieder drüber lachen muss.“

Und der Mann hat viel gelacht. (Ich bitte um Vergebung wegen der unfeinen Sprache.)

Die Einführung in das Studium des Buddhismus ist weder spannend noch langweilig, liegt aber im interessanten Bereich. Das Ganze ist etwas rätselhaft. „Nichts ist für die Ewigkeit“ kann man eine der Grundregeln wohl paraphrasieren. Man wird wiedergeboren, aber es gibt gleichzeitig keine Seele, sondern nur Karma – also was genau wird da eigentlich wiedergeboren? So weit ich das verstehe, ist das Karma wie ein Register, in dem schlechte und gute Taten aufgelistet werden. Wenn ein Leben zu Ende geht und das nächste anfängt, bleibt man belastet von den vorhergehenden Leben. Die Wiedergeburten haben eine seltsame Hierarchie, denn man kann als Höllenwesen oder als Tier, als Mensch oder als Gott geboren werden. Was offenbar bedeutet, dass Götter sterblich sind. So weit interessant. Aber nur Menschen können zur Erleuchtung gelangen, durch eigenes Streben oder unter Anleitung eines Buddhas. Götter können das nicht, sie müssen erst als Menschen geboren werden.

Phillips ist kommende Woche nicht da, er hält einen Vortrag in Kanada, von daher kriegen wir 100 Seiten Papier zum Lesen, um uns mit der Geschichte und der Ideenwelt des Buddhismus vertraut zu machen. Dann bin ich ja mal gespannt, wie das war, mit der Mutter von Siddharta und dem weißen Elefanten…

Danach besorge ich mir mit Hilfe von Alex eine Kundenkarte für die „King Kong“ Videothek und stelle befriedigt fest, dass eine japanische Sprachversion von „Star Wars“ (Ep. IV-VI) existiert. Oh, und den „Terminator“ fasse ich bei der Gelegenheit ebenfalls in Auge.

Der Angestellte der Videothek redet so schnell, dass ich kaum verstehe, was er sagt. Mein Dank an Alex für seine Hilfe bei der Angelegenheit. Ein Tag Ausleihe kostet 180 Yen, zwei Tage 230 Yen, sofern es sich nicht um funkelnagelneue Filme handelt. Ob die Preisangaben auch DVDs einschließen, ist mir bislang nicht bekannt geworden. Und eigentlich ist es auch nicht interessant, weil ich keinen DVD-Player besitze und auch keinen hier anschaffen werde. Da die Videothek 24 Stunden lang geöffnet hat, scheint es also günstig, um zwei Minuten nach Mitternacht einen oder mehrere Filme auszuleihen, weil man dann mehr Zeit hat. Nett zu wissen, aber für mich nicht wirklich von Bedeutung.

Alex weist mich noch auf verschiedene Dinge hin, die von minderer oder größerer Bedeutung sein könnten. In einer der nahen Städte findet offenbar jährlich eine Art Roboter-Wettbewerb statt. Dazu kommen Kinder aus aller Welt nach Japan und bauen hier ihre Maschinen zusammen. Da die Kunden meist aus englischsprachigen Staaten anreisen, suchen die Veranstalter Dolmetscher. Alex empfiehlt also, sich dafür zu bewerben, weil man eine Woche lang in einem Drei-Sterne-Hotel wohnt, mit drei warmen Mahlzeiten am Tag und anderen Vergünstigungen. Und das Vokabular sei weitgehend auf den Umgang mit dem notwendigen Werkzeug beschränkt, und darauf, was die Kinder (und ihre Erziehungsberechtigten) so brauchen. Das interessiert mich natürlich sehr.

Zuletzt bemängelt er den mangelnden Zusammenhalt der Austauschstudenten, der dieses Jahr offenbar herrscht. Er sagt, im letzten Jahr habe es zwei Wochen gedauert, bis alle so dicke zusammen waren, dass man halbnackt (!) wilde und vor allem alkoholhaltige Partys im Wohnheim gefeiert habe. „Nach zwei oder drei Wochen Party haben wir uns eigentlich weitgehend wieder beruhigt – nur JP hat weitergemacht wie gehabt“ sagt Alex, und er bedauere nichts von alldem. Na, ich kann mir vorstellen, dass jemand wie JP (ein weiterer meiner Trierer Jahrgangskollegen) die notwendigen Eigenschaften besitzt, eine solche Gemeinschaft zu schaffen und auch zu erhalten. Eine solche Persönlichkeit ist in diesem Jahrgang nicht enthalten. So weit ich das sehe, sind die allermeisten der europäischen Austauschstudenten Nichtraucher und nur Gelegenheitstrinker.

Mein Eindruck ist bisher, dass keiner dabei ist, eine Party so richtig zum toben bringt. Mathieu, „der frische Franzose“, scheint mir am ehesten dafür geeignet, aber er teilt meine Ansicht, dass man den Mund halten sollte, wenn man nichts Sinnvolles zu sagen hat. Man muss eine Konversation erst aus ihm herausziehen. Ansonsten eine gesellige Natur, wie die meisten anderen auch, aber ein Party-Tier habe ich keines gefunden. Und irgendwie beruhigt mich das ein wenig. Wenn ich das recht verstehe, waren es nämlich diese kleinen Orgien im Internationalen Studentenheim, die dafür gesorgt haben, dass „öffentliche“ Partys um 22:00 einzustellen und in den privaten Bereich, in die lächerlich kleinen Zimmer, zu verlegen sind. Es wurde ausdrücklich verboten, außerhalb der nun sehr eng gefassten Regelungen im Kaikan zu feiern; der Eingangsbereich lade zwar dazu ein, er sei aber nur ein Ort für „zivilisierte“ Zusammenkünfte, wenn ich das mal so umschreiben darf. Den O-Ton von Ôta-san auf dem Hinweisschild habe ich nicht mehr im Kopf, aber darauf lief es hinaus.

Alex erklärt mir bei dieser Gelegenheit auch, was es mit den Shimoda Häusern auf sich hat, von denen ich ja eines bewohne. Nach seiner Schilderung ist Ikeda-san der Präsident der Firma, die diese Miethäuser verwaltet, aber die Häuser befinden sich im Besitz einer Dame mit Namen Shimoda. Jene Dame ist offenbar die reichste Person in der Umgebung, wahrscheinlich eine der reichsten Frauen Japans. Sie besitze mehrere dieser Miethäuser, drei Krankenhäuser und wohl auch eine Universität. Er gibt nicht genauer an, welche. Und jene Dame hat wohl ob ihres finanziellen Hintergrundes politische Ambitionen. Gerüchte (?) besagen, dass sie Präfekt (weibliche Form?) von Aomori-ken werden will. Für deutsche Ohren klingt das vielleicht nicht weiter seltsam, aber ich glaube, man kann die Gefühle der Japaner zu dieser Sache möglicherweise damit vergleichen, wenn in der Bundesrepublik Deutschland sich eine Frau für das Amt des Bundeskanzlers bewirbt. Und das vor dem Hintergrund, dass die Geschlechterrollen in Japan etwas rigider sind als in Deutschland.

Was ganz anderes „ereilt“ mich am Nachmittag. Ich habe meine Gastmutter kennen lernen dürfen. Sie heißt „Jin“ (das ist der Familienname), was sich schreibt wie „Kami“, also „Gott“. Wer Piccolo, diesen grünen Kerl aus der Serie „DragonBall“, kennt, weiß, wie man das schreibt, er trägt dieses Kanji auf seiner Tunika. „Dieu“ (frz.) wurde es bei uns untertitelt, wegen der Herkunft der Übersetzungsgrundlage. Ich bin also folglich demnächst Gast im Hause Gottes. Nun ja, das heißt, ich werde es am 29.10. sein. Oh, und diese Frau Jin sieht nicht aus, als sei sie bereits 44 Jahre alt.

Die Familie Jin hat aus diversen Gründen am 01.10. keine Zeit, die „International Festa“ zu besuchen, wo die Austauschstudenten eigentlich ihre Gastfamilien erst treffen sollen. Also bittet sie mich (und Sushanan, eine der Thailänderinnen, die ihr ebenfalls zugeteilt wurde) dafür um Verzeihung und lädt uns für den 29.10. zum Essen ein. Zum Sukiyaki, um genau zu sein. Ich habe keine Ahnung, was das ist, aber sie sagt, ich solle bei der Herstellung helfen, dann wisse ich sehr schnell, um was es sich dabei genau handele. Na ja, das geht schon in Ordnung.

Das Programm ist also eine Art Doppelaktion. Jede der teilnehmenden Familien erhält zwei Austauschstudenten zugeteilt, die sich möglichst in Herkunft und Geschlecht unterscheiden sollen. Hier also ein Deutscher und eine Thailänderin. Warum nicht. Auf den „Clash of Civilizations“ bin ich sehr gespannt. Von Jin-san habe ich einen sehr mütterlichen Eindruck. Sie ist mir auf den ersten Blick sympathisch. Dann erhalte ich ein Blatt, auf dem eine kurze Familienübersicht dargestellt ist. In dem Haus wohnen also das Ehepaar Jin, beide Mitte Vierzig, mit zwei Kindern (eine Tochter von 11 und ein Sohn von 14 Jahren) und den Großeltern, beide 74 Jahre alt. Leider haben die Namen keine Furigana (das sind Schriftzeichen, die mir sagen, wie man die Kanji des Namens zu lesen und auszusprechen hat), also kann ich nur raten. Außerdem wird man sich mir wahrscheinlich sowieso noch einmal vorstellen, wenn ich denn im Wohnzimmer stehe.

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