Freitag, 17.10.2003 – War da heute was?
Eigentlich war nichts los. Oder vielleicht waren es einfach zu viele kleine Dinge?
Ich versuche, das mal zusammenzufassen.
Am Morgen hat mein Schrottrad endlich Luft in die Reifen bekommen. Jetzt kann man bequemer damit fahren, aber wegen der Bremsen werde ich mir noch ein anderes suchen müssen. Zu gefährlich, muss ich einsehen.
Nach dem Unterricht werde ich von zwei einheimischen Studenten zu einem Interview gebeten. Sie erforschen die Unterschiede zwischen japanischen Sportarten und solchen woanders auf der Welt, und wie Sport in anderen Ländern empfunden wird, sei es als Schulsport oder als Vereinssport, welches die populärsten Sportarten in den jeweiligen Staaten sind und welchen Eindruck man dort von japanischem Sport hat.
Die Bibliothek habe ich mal flüchtig in Augenschein genommen. Irgendwie klein. Aber ich habe bestimmt nicht alles gesehen. Und da sehe ich etwa 20 öffentliche Rechner. Moment bitte – 20 Rechner für alle Studenten? Das muss ein Irrtum sein. Es kann sich doch nicht jeder einen Laptop leisten! Ich bin eher bereit zu glauben, dass die Bibliothek der Hirodai nur ein Stockwerk groß ist, als dass es außerhalb des Ryûgakusei Centers nur 20 Computer auf dem Campus gibt.
Sawada-sensei macht wiederholt und mit viel Freude auf das Internationale Fest am 01.11. aufmerksam. Vielleicht (offenbar) erhalte ich dort noch die Chance, meinen Vogelweide loszuwerden. Außerdem sollen wir dort unseren Gastfamilien vorgestellt werden. Auch hier handelt es sich um eine alkoholfreie Zwei-Stunden-Veranstaltung. Auf meine vorsichtige Anfrage hin erklärt mir Sawada-sensei, dass Alkohol auf dem Campus generell verboten sei und man nicht einmal privaten Alkohol mitbringen dürfe. Na denn prost. Aber das Fest findet eh um zwei Uhr nachmittags statt, da sollte man noch keinen Alkohol trinken. Vorführende erhalten kostenlosen Zutritt mit Verpflegung, während alle andern etwa einen Tausender zahlen müssen, um die Unkosten zu decken. Na, dann sing ich doch lieber. Außerdem ist vergessen werden schlimmer als der Tod.1 😉
Ich versende noch ein paar Bilder. Li SangSu, mein koreanischer Nachbar aus dem Erdgeschoss, dessen Name ich mir endlich merken kann, macht mir das Angebot, meine Bilder auf seinen Laptop zu laden und zu gegebener Zeit eine CD zu brennen. Ich komme bestimmt darauf zurück. Nett von ihm. Im Anschluss unterhalte ich mich noch ein wenig mit ihm und zweien der übrigen Koreaner. Die Unterhaltung wird ab und zu etwas chaotisch, weil das Japanisch von SangSu nur etwas besser ist als meines und er daher Jû, der schräg gegenüber von mir wohnt, fragen muss, was denn dies oder das heiße. Er solle es doch auf Englisch versuchen, sagt Jû, aber SangSu winkt ab. Jû lacht sich daraufhin fast tot (leise, aber heftig), zeigt auf SangSu und sagt zu mir: „Der hat zwei Jahre in Australien gelebt und kann immer noch kein Englisch!“ und SangSu sagt „Der behandelt mich dauernd wie einen Sklaven!“ Die sind lustig. Während des Gesprächs stelle ich auch fest, dass die anwesenden Koreaner die ganze Zeit dachten, Karl Marx sei ein Russe gewesen. Wohl wegen des Sowjetkommunismus. Und ich stelle fest, dass sie in Korea zwei Jahre lang Deutsch gelernt haben. In der Oberschule. Da bin ich doch platt. In der koreanischen Oberschule muss man zwei Fremdsprachen belegen und meine männlichen Nachbarn haben Englisch und Deutsch gelernt, und meine weibliche Nachbarin SongMin, sie wohnt in dem Apartment direkt gegenüber, hat wahrscheinlich (wie SangSu sagt, aber ich habe noch nicht gefragt) Unterricht in Französisch genossen. Die Sprache sei bei Schülerinnen beliebt. Die Jungs lernten lieber ein wenig Deutsch, weil Deutschland ein wirtschaftlich bedeutendes Land sei. Schön und gut, aber leider wissen sie nichts mehr davon. Sie können sich vorstellen und dem Gegenüber einen guten Tag wünschen. Aber ein Brot könnten sie wohl nicht mehr kaufen.
Wie dem auch sei, ich finde meine Nachbarn ganz umgänglich, im Gegensatz zu einer Darstellung aus den USA, von wo mir zugetragen wurde, dass Koreaner am liebsten den Tag und vor allem die Nächte mit feucht-fröhlichen und vor allem lauten Partys verbrächten. Jû sagt, dass er sich das in den USA durchaus vorstellen könne, wo es viele koreanische Studenten hinzieht, die eine gewisse Vorstellung vom „amerikanischen Traum“ und den Freiheiten dort haben. Studenten mit mehr Sinn für Disziplin gingen eher nach Japan oder Deutschland, sagt er.
Auf dem Weg nach Hause kaufe ich mir ein Glas Nescafe Instantkaffee und eine Flasche Sake aus „Sake ga nomeru zoeeeee“ Akita.2 Nur 1,8 Liter… wir wollen ja nicht übertreiben.3 🙂 Ich fange in der Preisskala unten an, die Flasche kostet ca. 1300 Yen. Wenn man hier übrigens von „Sake“ redet, dann verstehen Japaner darunter ganz allgemein ein „alkoholisches Getränk“. Das, was sonst wo auf der Welt als „Sake“ verkauft wird, heißt hier „Nihonshû“. Grob übersetzt: „alkoholisches Getränk aus Japan“. Ich warte also auf eine Gelegenheit, die Flasche zu öffnen. Heute hätte sich eine Gelegenheit bieten können, weil ich Misi die „Inkomplette Liste unhöflicher Begriffe“ (der englischen Sprache)4 vorführen wollte. Aber die Pappnase ist mal wieder nicht gekommen, also bleibt die Flasche vorerst zu.
1 Aus Final Fantasy IX, das ich nie gespielt habe.
2 Aus den Liedern des jap. Duos „Barracuda & Beethoven“
3 Es handelt sich hierbei um die gängigste Flaschengröße.
4 „The incomplete list of impolite words“ von Carl Douglas
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.