Mittwoch, 15.10.2003 – Born to kill?
Na, so schlimm ist es nicht geworden. Aber der Japanischunterricht heute vernichtet meine gute Laune, die ich am Morgen noch hatte, durch Phrasenbeten als Gruppenaktivität. Ich erwäge, den Vorschlag zu machen, die Sätze aus den Hörübungen nicht mehr gemeinsam, sondern einzeln abhören zu lassen. Die Leistungsunterschiede in unserer Klasse treten dabei sicherlich deutlicher zu Tage. Es sind einige dabei, die die Sätze flüssig aufsagen können, und andere brauchen eine Weile. Auf momentane Art und Weise entsteht ein Mischmasch von Artikulationsgeräuschen, die doch niemand mehr als Sprache erkennen kann. Wie soll man da die Fehler des Einzelnen erkennen und bekämpfen? Ich halte das hiesige Procedere auch weiterhin für pädagogisch fragwürdig.1
Dann sollen wir einen Text lesen und verstehen. Okay. Ich glaube, ich weiß, was drin steht, aber mit dem Erklären könnte ich Probleme haben. Ogasawara-sensei möchte, dass wir den Inhalt noch einige Minuten später wiedergeben können, und zur Ablenkung spielen wir Jan-Ken-Pon. Dabei handelt es sich um ein Spiel, dass bei uns „Schere-Stein-Papier“ heißt. Jetzt kocht meine Galle aber! Ich akzeptiere, dass das Spiel hierzulande beliebt ist und von quasi allen Altersgruppen gespielt wird (aus den gleichen Gründen wie bei uns), aber ich habe das zuletzt gespielt, als ich noch halb so groß war wie heute, vor knapp 20 Jahren. Ich ordne „Schere-Stein-Papier“ sehr eindeutig dem Bereich „Kleinkinder“ zu, und dass ich das hier spielen soll, im Alter von 26 Jahren, bringt mich zur Weißglut. Ich überlege mir, ob ich ausweichend auf die Toilette gehen soll. Aber ich lasse es. Flucht ist kein gutes Mittel, um sich an Umstände zu gewöhnen, die man nicht mag. Also spiele ich Jan-Ken-Pon und versuche anschließend, in drei Sätzen zu erläutern, was in dem Text steht.
Wie es scheint, lebe ich noch. Und alle anderen in meinem Umfeld auch. Was auch immer kommt, es kann nur besser werden. Und ich werde besser damit fertig werden. Kashima-sensei hat mir gleich zu Beginn gesagt, dass ich am besten alles ganz entspannt angehen solle. Alles andere sei Unsinn und werde im Endeffekt nur Probleme bringen. Ich folge seinem Rat in verstärktem Maße. Das wiederum veranlasst Melanie dazu, mir mangelnde Arbeitsmotivation zu unterstellen. Das Problem sehe ich nicht. Ich mache die Arbeit, die man von mir erwartet. Sie arbeitet länger an den Kanji für die Tests, und ich freue mich, dass sie diese Ausdauer aufbringt – aber meine Testergebnisse sind ebenso gut und ebenso schlecht wie ihre. Also was soll’s? Ich fühle mich durchaus in der Lage, mein Arbeitspensum zu steigern, wenn es notwendig wird.
1 Yamazaki-sensei versicherte mir irgendwann, dass er in dieser Methode geübt genug sei, um Studenten mit Problemen heraushören zu können.
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