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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

2. Juni 2011

King of Kylltal (Teil 3)

Filed under: Arbeitswelt,My Life — 42317 @ 15:26

Ich habe gar nicht die Zeit, über alles im Detail zu schreiben, was sich einem da bietet… Mercedes-, BMW- und Golffahrer, die jedem ihrer Klischees gerecht werden, spazierfahrende Rentner, tote Kunden, unvermittelt abbiegende (und daher bremsende) Einheimische, schmale schadhafte Eifelwaldstraßen und noch schmalere und unbefestigte Eifelwaldwege, atemberaubende Expresslieferfahrten über Eifelserpentinen, die Hitze im an Fahrtwind mangelnden Stadtverkehr, Berge von “Apotheken Umschau”, völlig abseits liegende Eifeldörfchen mit drei Häusern, vier Kneipen und einem Mausefallenmuseum, Kunden, die wie eben diese Dörfer heißen, Straßenzüge, die neuer als der Navi sind, Häuser, die zu neu sind, um bereits eine Klingel zu haben, selbst verschuldete Arbeitszeiten von halb sechs morgens bis acht Uhr abends, aber auch freundliches Entgegenkommen von Kunden und solchen Leuten, die eigentlich keine sind.

Man sagt gern, dass Berufsverkehr den Nerven abträglich sei. Das finde ich gar nicht, denn wenn einem nicht gerade das Essen anbrennt, kann man die Staus gemütlich aussitzen, im Trockenen mit Lüftung und Musik. Was ich bedenklicher finde, sind die einzelnen Pendler am frühesten Morgen. Es gibt da welche, die es scheinbar nicht gebacken bekommen, rechtzeitig aufzustehen, die mit 70 durch die Innenstadt fahren und andere, die mit etwa 130 über die Ehranger Umgehungsstraße blasen.

Das Gegenteil sind die Rentner, die in der Eifellandschaft spazieren fahren, oder die, die sich die üblichen Geschwindigkeiten nicht mehr zutrauen. Über Traktoren beschwere ich mich nicht, die sind halt nicht für hohe Geschwindigkeiten konzipiert und die Arbeit muss ja gemacht werden, und mit einem großen LKW muss man ja auch umsichtig fahren, gerade in den Tiefen der Eifel. Mit denen habe ich keinen Stress, aber wenn Opa Herrmann und Oma Louise in ihrem bordeauxroten Benz Bj. 1990 mit 50 km/h durch den Wald schleichen und dabei auffällig gestikulierend was weiß ich was diskutieren, dann könnte mir der Hut hochgehen.

In einem Fall war es für die Lieferung allerdings zu spät. Die ASSIST GmbH aus Merzig an der Saar verschickt Pakete über Transoflex. Dabei handelt es sich um Artikel, die man für die Altenpflege benötigt, und so kam es, dass ich an meinem dritten oder vierten Arbeitstag an einer Tür klingelte, wo mir ein mitgenommen aussehender Mann über 50 mitteilte, dass der Empfänger des Pakets in der vergangenen Nacht leider verstorben sei. In der Rubrik “Annahme verweigert” bleibt einem dann nur noch die Angabe “sonstige Gründe”, da ja “Ware verspätet” oder “beschädigt” zum Beispiel nicht zutreffen.

Ich weiß nicht, wie die Straßenkarten des Navigationsgeräts zu Stande kommen. Ich vermute, dass eine Maschine vielleicht graue Linien in Luftaufnahmen erkennt, oder dass Scans von Papierlandkarten ebenso automatisch interpretiert werden. Anders jedenfalls lässt sich nicht erklären, dass das Gerät plötzlich sagt: “In 400 Metern fahren Sie geradeaus.” Nach 400 m bietet sich dem Fahrer folgendes Bild: Die Straße macht eine Biegung und geradeaus befindet sich ein Waldweg. Das Gerät sucht angeblich die jeweils schnellste Strecke von A nach B, aber auf einem Waldpfad, der eigentlich nur für Spaziergänger und Forstwirtschaft da ist, kann ich ja nicht 100 fahren, sondern bestenfalls 50. Das System kann verschieden Typen von Straßen vermutlich nicht selbst unterscheiden und menschliche Dateneingabe würde vermutlich einiges kosten (dafür gibt es ja “Business Solutions”, da ich annehme, dass man einer Schwerlastspedition nicht die gleiche Navisoftware wie einem Autofahrer verkaufen kann). Klar macht das Fahren über Waldwege irgendwo Spaß, aber der hört vermutlich auf, wenn mir ein Forstwirtschafter im Geländewagen entgegenkommt. Dann muss ich nämlich gegebenenfalls ein paar Kilometer rückwärts fahren, weil ich im Weg stehe und hier eigentlich nichts zu suchen habe.

Bei einer Fahrt mit Expresspaket würde ich diese Option jedenfalls nicht nehmen, sondern auf der Straße bleiben. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich mal absichtlich zu schnell auf der Landstraße fahren würde. Bereiche mit 70 oder 50, das ist was anderes, aber auf gerader Strecke ohne Hinweisschild werden es schonmal mehr als 100. Wenn ein Expresspaket zu spät ankommt, muss die Firma den Preis zurückerstatten, und der fällt auf den Fahrer zurück, sofern er die Verspätung verschuldet hat (für Staus zum Beispiel kann er ja nichts).

Derzeit sind meine Arbeitstage noch relativ lang. Das liegt zum einen an einem Mangel an Routine beim morgendlichen Laden, zum anderen an meinem derzeitigen Mangel an Können in Angelegenheiten der Routenoptimierung.
Um effizient zu laden, muss man die groben räumlichen Verhältnisse der Tour im Kopf haben und die Pakete, die den letzten Ortschaften in der Reihe zugeordnet werden, können schon eingeladen werden. Das ist aber nur der Idealfall, denn eine Expresslieferung kann den Laden durcheinanderbringen, weil man dafür in der Regel Ortschaften in der regulären Abfolge aus Zeitgründen überspringen muss, und dem entsprechend ändert sich die Reihenfolge des Packens. Man spart auch Zeit, wenn man die Pakete gleich beim runternehmen vom Band einscannt, aber manchmal kommen mehrere in schneller Folge, sodass keine Zeit zum sofortigen Scannen bleibt, und gleichzeitig kann man am Ende der Serie nicht einfach die Augen vom Band nehmen, um den angesammelten Haufen zu scannen, weil man dann weitere Pakete im eigenen Postleitzahlenbereich verpassen könnte, was zu Unmut am Ende des Bands führen kann, wenn sich dort die verpassten Pakete stapeln, die ja auch jemand vom Band nehmen und stapeln muss – und ich verliere Zeit, wenn ich zum Ende der Halle gehen und im Stapel nach verpassten Sendungen suchen muss. Effizienz kommt hier aus guter Finger-Augen-Koordination. Und wenn alles klappt, dass alles schnell gescannt und bereit zum Einladen grob nach Orten und Straßen geordnet wurde, dann kann es immer noch sein, dass ein verspäteter LKW die logistische Kette unterbricht und sich die Tour so ändert, dass sich ein anderer Endpunkt ergibt.
Und dennoch kann es schnell gehen: Kalaschnikow (Name geändert), der den Bereich westlich von mir bedient, ist grundsätzlich als erster draußen, wenn der um halb Neun losfährt, ist er spät dran. Er macht das hier seit fünf Jahren und fährt bereits seit über 20. Der arbeitet mit allen Optimierungstricks und hat sogar noch Zeit, zwischendurch am Tor eine zu rauchen.

Mein anderes Problem ist die Optimierung der Route. Wie verbinde ich z.B. die Orte Weißenseifen, Müllenborn, Rockeskyll, Balesfeld, Wallenborn, Bleckhausen, Deudesfeld und Gerolstein zu einer sinnvollen und möglichst Zeit sparenden Tour, wenn wegen eines Expresspakets klar ist, dass ich Gerolstein als erstes anfahren muss?
Wäre dies nicht der Fall, könnte ich eine schöne Runde fahren, aber wenn Gerolstein der Ort A sein muss, entsteht ein Planungsproblem, weil all diese Dörfer rundum liegen und Zickzack und Überkreuzfahrten kosten nunmal Zeit. Ich habe gestern 20 Minuten in der Touristeninformation in Gerolstein verbracht, um mir eine Karte der Eifel zu kaufen und mir von der Angestellten die Ortschaften markieren zu lassen, von denen ich noch nie gehört hatte. Denn man kann mir ideale Fahrtrouten vorbeten, sooft man will, ich werde mir die Strecken besser merken können, wenn ich mir mittels einer Straßenkarte eine konkrete Vorstellung der räumlichen Verhältnisse machen kann.

Positiv überrascht war ich bislang vom Verhalten der Einheimischen (abgesehen von demjenigen, der mich durch unangekündigtes Abbiegen zu einer Vollbremsung veranlasste). Manche sagen, dass die Eifelbauern verschlossene Leute seien, aber dergleichen habe ich nicht bemerkt. Die Exemplare, die ich getroffen habe, waren alle freundlich, fragten auch mal nach dem Woher und Wohin, und nicht abgeneigt, die Post des Nachbarn anzunehmen. Ich bekam sogar Trinkgeld. Umgerechnet auf die Arbeitstage mehr als in den vergangenen Jahren als Teppichdarbieter.
Aber auch und vor allem in Speicher hat man mich überrascht. Wegen der genannten Faktoren und der “Apotheken Umschau”, die mir anscheinend zweimal im Monat 50 schwere Extrapakete beschert, war ich am Freitag spät dran und hatte ein paar Pakete für einen Laden für Bürobedarf. Um 2115 hat der natürlich geschlossen, aber ich dachte mir, dass der Besitzer vielleicht im Haus wohnt. Als ich den Namen nicht auf der Klingel vorfand, läutete ich trotzdem mal. Die Bewohnerin war überraschend entgegenkommend und zeigte sich bereit, die knapp zehn Pakete in ihrem Flur unterzubringen. Dann hatte sie die Idee, den Empfänger anzurufen (ihr Vermieter), suchte dafür die Nummer aus dem Telefonbuch, erreichte ihn nicht, suchte dann eine andere Nummer, von der sie wusste, dass es der Vater des Empfängers war, worauf dieser, ausgestattet mit einem Schlüssel zum Laden, zum Laden gefahren kam und mir beim Wegräumen half, wobei er ebenso überraschend keinerlei Tadel oder ähnliches äußerte, sondern meine Entschuldigung nur zur Kenntnis nahm und sagte, dass er ja wisse, dass ich auch irgendwann mal Feierabend haben wollte. Da war ich direkt beeindruckt. Vielleicht liegt es an meinen Vorbehalten gegenüber der Stadt, in der ich lebe, aber ich glaube, ein Trierer Kunde hätte auf die Situation eher ungehalten reagiert.

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