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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

13. März 2008

Begegnungen – Der Zwielichtige

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 21:21

Da diese “Serie” scheinbar gut ankommt, möchte ich hier auf eine alte Geschichte eingehen. Diese Begegnung hat bereits im Frühjahr 2006 stattgefunden und war, soweit ich mich erinnere, die erster ihrer Art.

Da kam ein Herr um die Mitte 50 herein, seine Kleidung war schlicht, wenn auch nicht unter Standard (von Teppichkunden diesen Alters). Die Chefin war näher an der Tür, also sprach er sie an, in einem auffälligen russischen Akzent:

“Gutten Tag. Ich bin Spezialist für rrussiche Teppiche. Darrf ich mich umsehen?”
Natürlich durfte er. Sein Blick blieb allerdings schnell an dem Kazak haften, der damals noch unter dem Gästetisch lag. Ein nicht allzu hochwertiges Produkt aus den späten Siebzigern, wenn ich mich nicht irre, und wohl etwas von der Sorte, von der die Chefin sagt, dass sie es gerade noch mit ihrem Gewissen vereinbaren könne, diese Qualitätsstufe anzubieten.

Der Kazak jedenfalls schien ihm auffällig. Dann fragte er:
“Chaben Sie auch antike Teppiche?”
“Nein,” sagte die Chefin im Brustton der Überzeugung, “nur, was Sie hier sehen.”
Ganz ohne Euphemismen ausgedrückt: Eine glatte Lüge.
Der Herr ließ es damit bewenden, bedankte sich und ging wieder.
Mein fragender Blick konnte nur auffallen.

“Ich mache grundsätzlich keine Geschäfte mit Russen.” Und der hier hatte offenbar in dem Moment verloren, als er sich ganz auf den an sich neu zu nennenden Kazak konzentrierte. Den für Laien ordinär aussehende, aber 200 Jahre alten Adlerkazak an der offen ersichtlichen Wand im Rücken des Büroteils hatte er nur eines kurzen Blickes gewürdigt.
“Ich bin Shpezialist für rrussische Teppiche, habe Ahnung von gar nix!” machte Sie sich über ihn lustig.

Jetzt war die Abneigung gegen Russen aber immer noch nicht so ganz geklärt, und die dazu gehörige Geschichte kam später zur Sprache. Ich erinnere mich allerdings nicht, ob es der gleiche Tag war.
Sie erzählte von einem Trierer Telekommunikationshändler, der Mitte der Neunziger (?) fette Gewinne gerochen und eine Außenstelle seines Geschäfts in Petersburg eröffnet hatte, unter der Leitung seines Sohnes, der wohl Russisch konnte.
Einige Tage nach der Eröffnung kam ein Herr im Geschäftsanzug in den Laden und sagte in deutscher Sprache:
“Ich kaufe alles, was sie haben” und legte einen halben Aktenkoffer voller Dollarscheine auf den Tisch. Da wurde erst gar nicht gezählt, sondern die Ware ausgeliefert.
Wochen danach wiederholte sich die Szene mit dem gleichen Herrn. Wieder kaufte er den kompletten Bestand und wieder zahlte er bar mit bündelweise Dollarnoten, die man erst gar nicht abzählte.

Als er einige Wochen darauf wieder kam, kaufte er nicht wieder die ganze Ladenauslage, sondern ließ, in einem nicht näher ausgeführten Gespräch, durchblicken, dass er für seine Großzügigkeit gewisse Gegenleistungen und Gefälligkeiten erwarte.

Das war dem Trierer Kaufmann dann doch unheimlich, bestellte seinen Sohn aus Russland zurück und veräußerte die Petersburger Außenstelle. Nichtsdestotrotz stand der Petersburger Herr einige Monate später in seinem Trierer Laden.
Es heißt, die ganze Familie sei daraufhin mit polizeilicher Hilfe untergetaucht.

Ich habe Verständnis für das Argument. Ich würde auch keine Geschäfte in Russland machen wollen, das Gelände erscheint mir zu sumpfig. Es ist natürlich bedauerlich, dass wegen der Schafe im schwarzen Mafiapelz Russen und vor allem Einwanderer aus der ehemaligen UdSSR in erster Linie mit solchen Hintergründen in Verbindung  gebracht und deshalb in der Regel von Einheimischen gemieden werden – weswegen die unter sich bleiben, eine eigene Subkultur bilden, was zu weiterer Abschottung und zu weiteren Vorurteilen führt.
Ich bin jedenfalls angewiesen, niemandem gegenüber die Antiquitäten in der oberen Etage zu erwähnen, der nicht zur bereits bekannten Kundschaft gehört oder der nicht durch sein geäußertes Vorwissen erkennen lässt, dass er auch Ahnung davon hat. Einem Laien einen alten Kazak zu zeigen, ist reine Zeitverschwendung, und nur eine verschwindende Anzahl von Leuten denkt sich etwas bei einem seidenen Shirvan.

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