Code Alpha

Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

22. Februar 2010

Ich kam, sah, und ging lieber wieder (3/3)

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 20:42

Es kam dazu, dass ich montags und donnerstags nachmittags bereits einen deutlichen Unwillen in Bezug auf den kommenden Tag spürte, was meine Laune an vier von sieben Wochentagen merklich senkte. Nach dem Aufstehen hätte ich am liebsten als erstes aus dem Fenster gekotzt, einfach so, um meine Laune kund zu tun, und nicht, um den Zustand meines Magens zu dokumentieren. Die Fahrt im eiskalten Bus wurde beinahe zum Genuss, weil ich mich durch das Lesen meines Buchs vom Fahrtziel ablenken konnte, aber sobald ich den Bus verließ und mich dem Hauptmarkt näherte, trat mir jedes Mal ein Gedanke ins Bewusstsein:
„Hoffentlich ist der Scheißtag bald vorbei!“
Und das ist ein Punkt, an dem ich jedem ans Herz lege, sich einen neuen Job zu suchen, wenn dies ein inniger und ernst gemeinter Wunsch geworden ist – wenn man seinen Job scheiße findet, soll man sich einen neuen suchen. Das ist nicht verboten und der geistigen Gesundheit durchaus förderlich. Nur motzen und meckern ist Quatsch. Wenn man nur einen Job hat und die nötigen finanziellen Rücklagen für eine Überbrückungszeit fehlen, muss man natürlich die Zähne zusammenbeißen, bis sich eine bessere Gelegenheit ergibt – was ich dank Teppichgalerie glücklicherweise nicht muss.
Nach gerade einmal drei Wochen jedenfalls hatte ich die Schnauze gestrichen voll, es stand mir bis Oberkante Unterkiefer. Dabei sagt man mir etwas nach, was man leicht antiquiert „Langmut“ nennt.

Oh, die Frau Bohlen hatte auch gute Tage, die sich darin äußerten, dass sie mich ignorierte. Das war mir eigentlich Recht. Sie hatte sogar mal einen sehr guten Tag, und an dem sagte sie etwas zu mir, ich weiß nicht mehr was, es klang jedenfalls wie eine übliche Korrektur meiner Arbeitsweise, nur ohne den scharfen Tonfall.
Als ich mich verwirrt gab, sagte sie „Ich hab bloß ’n Scherz gemacht.“
Ich verstand nicht, was daran hatte lustig sein sollen und sagte: „Ah… okay…“.
Das hat vermutlich nicht sehr zu einer positiven Auffassung meiner Person ihrerseits beigetragen, aber man kann sich kaum vorstellen, wie egal mir das war und heute noch ist. Mein größtes Glück stellte sich immer dann ein, wenn sie in der Waschküche Dienst hatte und sich um Schürzen und Tischdecken kümmerte, anstatt mich zu terrorisieren.

Nachdem das Weihnachtsgeschäft nach der ersten Januarwoche endgültig vorbei war, verschob sich auch der Feierabend zurück auf halb Vier, wie eigentlich vorgesehen. Stellenweise war so wenig los, dass ich mir wie bei der Bundeswehr vorkam: In Abwesenheit von zu spülendem Geschirr und schmutziger Reinigungsreviere wurde ich angewiesen, mir einen Lappen zu nehmen und in der Spülküche rumzuwischen – damit ich beschäftigt aussah, sollte der Chef persönlich den Kopf zur Tür reinstecken. Das kam auch immer wieder mal vor. Dabei kam er mir wie ein vernünftiger Mensch vor, also nicht wie jemand, der empfindlich reagiert, wenn seine Angestellten in einer ruhigen halben Stunde auch mal eine ruhige Kugel schieben. Erstaunt war ich davon, dass er im Fall von Reparaturen selbst mit Hand anlegte: Er reparierte gemeinsam mit dem Hausmeister einen Backofen und die Elektrik der Außentür der Küche, die sich auf Knopfdruck öffnete (bzw. öffnen sollte), wenn man mit einem Geschirrwagen darauf zu rollte.

An einem Tag sollte ich im Bier- und Weinkeller fegen und gekachelte Teile wischen – ein wahres Labyrinth unter dem Haus. Hierzu wurde ich auf die Alarmglocke aufmerksam gemacht, die im vorderen Bereich angebracht war: Der Alarm werde ausgelöst, sobald der Kohlendioxidanteil in der Atemluft einen gewissen Schwellenwert überschritt. In dem Falle sollte ich schleunigst die Treppe hochgehen.
Wie könnte es anders sein – als ich mitten bei der Arbeit war (und mit Seitenblicken die gelagerten Jahrgänge bewunderte), schrillte die Glocke, mir standen alle Haare zu Berge. Der Alarm verstummte jedoch nach zwei Sekunden wieder. Was zum Teufel war das gewesen? Ich kümmerte mich also nicht weiter darum und fegte weiter. Gleich darauf stieg mir allerdings ein ganz typischer Biergeruch in die Nase, und als ich um die nächste Ecke linste, floss mir ein Bierbach entgegen und verschwand in einem Abfluss. Ich konnte feststellen, dass ein ganzes Fass ausgelaufen war, eines von denen, die mit dem Zapfhahn im Erdgeschoss verbunden waren. Zumindest war eines leer. Vermutlich hatte das plötzliche Austreten der Kohlensäure den Alarm ausgelöst, die sich dann aber schnell genug im Raum verteilte, um im Bereich des Sensors den Schwellenwert wieder zu unterschreiten. Keine Minute nach dem kurzen Alarm war die Verwalterin mit dem Hausmeister im Anmarsch, um zu sehen, was los sei – wegen des Alarms, denn noch niemand hatte den Druckabfall in der Zuleitung registriert. Ich schilderte die Lage und wurde losgeschickt, mir einen Eimer zu besorgen und die entsprechenden Räumlichkeiten, etwa sechs Quadratmeter, auszuspülen, damit das Bier nicht alles verklebe. In der Zwischenzeit wurde ein neues Fass angeklemmt und der Hausmeister konnte sich keinen Reim darauf machen, was eigentlich vorgefallen war, von daher weiß ich auch nicht, ob sich vielleicht der Schlauch gelöst hatte, oder was sonst an einem Fass schief laufen kann.

An einem anderen Tag wurde ich ins Schneetreiben vor dem Haupteingang beordert, weil ein Hund dort einen Haufen hinterlassen hatte – das Stück von der Größe eines Lyoners war zum Glück steif gefroren und ließ sich widerstandslos mit der Schaufel entfernen… und sogar das war angenehmer, als mit Frau Bohlen im selben Raum zu sein und ihre Visage sehen zu müssen!

Es wurde nicht besser. Ich wurde immer noch angefahren und wie der letzte Depp behandelt. Besonders deutlich wurde das an einem Tag, als eine der Serviceangestellten, eine Restaurantfachfrau (in Ausbildung), wie man Kellnerinnen offiziell in der Sprache der Beamten nennt, erfahren hatte, dass aus irgendeinem Grund kein Berufschulbetrieb stattfinden würde. Sie war daraufhin in den Betrieb gekommen, um dies der Verwalterin mitzuteilen, die sie dann zu uns in die Spülküche schickte, damit sie auch dort mal gearbeitet hatte. Sie hatte in der Tat überhaupt keine Ahnung von dem, was und wie es da lief, und es fiel mir zu, ihr die Abläufe am Ende des Förderbands zu erläutern, also das Abwischen der Schüsseln, das Umverteilen der Teller, das Wenden der Tassen, und das Doppelspülen des Bestecks. Ihre Anwesenheit hob meine Laune deutlich und ich erklärte die notwendigen Abläufe mit einer sonnigen Motivation, die mich selbst überraschte. Das ging scheinbar nicht nur mir so, denn obwohl die junge Frau offen ersichtlich den Eindruck machte, als sei sie von dem Organisationsanforderungen der Spülküche überfordert, legte Frau Bohlen eine ausgesuchte und lockere Freundlichkeit an den Tag, die ich ihr nie zugetraut hätte. Verdammt, die lachte sogar! Mit anderen Worten: Ihre Kaltschnäuzigkeit lag nicht einfach an ihrem Lebensfrust, der in den Symptomen meines Erfahrungsmangels ein Ventil fand, sondern an mir, an meiner Person, an der subjektiven Wirkung, die ich auf sie hatte, ohne dass ich irgendetwas dazu beitragen musste oder überhaupt konnte. Da wurde weiter genörgelt, geschnaubt, gestöhnt, gemeckert, gejammert, und die Augen verdreht.

Also besann ich mich auf die Vorteile des Minijobberdaseins: Ich kann gehen, wann immer es mir Spaß macht – beziehungsweise, sobald es mir keinen Spaß mehr macht. Zum Ende der vierten Woche telefonierte ich mit der Verwalterin und erklärte ihr, dass ich gern aufhören mochte, und bot ihr an, noch eine Woche zu arbeiten, damit sie Zeit habe, die Stelle neu auszuschreiben.
Meine Laune während dieser fünften Woche war schon fast euphorisch, und ich behielt meine „Informationspolitik“ bei – nur „Mutti“ erfuhr, an meinem letzten Tag, dass ich nie wieder kommen würde. Sie wurde von der Aussage überrascht, was mich wiederum überraschte, weil ich dachte, dass diese Information von der Verwaltung doch zumindest an die zuständige Vorarbeiterin weitergereicht werde. Scheinbar war das nicht der Fall.
Ich hielt auch die Klappe, als David mich an meinem vorletzten Arbeitstag in die tieferen Geheimnisse der Spülmaschinen einweihte – wie man die zu reinigenden Teile ausbaute und wieder einsetzte, damit ich das in Zukunft selbständig machen könne.

Ich ging also und ich habe mich noch nie von einer Tätigkeit derart befreit gefühlt. Der ganze Hauptmarkt sah mit einem Mal viel freundlicher aus.
Leider hatte sich keinerlei Gelegenheit zum Abgreifen von Essen ergeben – wie auch? Das Robert-Schumann-Haus richtet Buffets und vorgefertigte Menüs aus, während der Domstein nur das auf den Tisch stellt, was explizit bestellt wurde, was die Restmengen natürlich minimiert.

Drei der Angestellten der Spülküche habe ich nachher noch einmal gesehen: Leo lief mir nur wenige Tage später in der Theodor-Heuss-Allee über den Weg, als ich den Hund von Frau G. ausführte, erkannte mich aber scheinbar mit Mütze auf dem Kopf und ohne Schürze nicht. David erspähte ich im SATURN in Begleitung einer Frau, ich vermute seiner Frau, aber ich hatte nicht das Bedürfnis, Kontakt aufzunehmen, um belanglosen Smalltalk zu halten oder auf neugierige Anfrage hin meine Gründe für den verheimlichten Ausstieg erläutern zu müssen. Und die Frau Bohlen blieb mir nicht erspart, als ich am Morgen des 20. September 2009 vor dem Zelt der City Initiative Trier e.V. herumstand, um meinen Wachauftrag zu übernehmen.
Und wegen all dem Geschilderten wusste ich an dem Tag auch, wie ich ohne fragen zu müssen auf die Toilette im Untergeschoss des Domsteins gelangen konnte.

Schreibe einen Kommentar