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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

19. Februar 2010

Ich kam, ich sah, und ging lieber wieder (2/3)

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 21:23

Das gute Gefühl hielt sich, in Arbeitszeit ausgedrückt, gerade mal einige Stunden, und der Bus, der auch beim darauf folgenden und jedem späteren Termin eiskalt war und dessen Heizung sich erst etwa am Bahnhof bemerkbar machte, hatte das wenigste damit zu tun.
Als erstes stellte ich fest, dass sich die Besetzung der Spülküche scheinbar je nach Wochentag änderte.
Als ich freitags zum ersten regulären Arbeitstermin eintraf, war Dennis nicht da, ich habe ihn auch nie mehr gesehen, stattdessen ein anderer mit Namen David (halb-englisch „Dee-vid“ ausgesprochen, eine Trierer Macke ersten Ranges), höchstens Mitte Zwanzig, dunkle Haare, Dreitagebart, schlank, sah ein bisschen aus, als sei er der kleine Bruder meines Kameraden Ritter. „Mutti“ und Leo waren auch da, und dann noch eine Frau um die Fünfzig, leicht übergewichtig, rotbraunes Haar, deren Gesicht ich intuitiv irgendwo zwischen „Metzger“ und „Bulldogge“ einordnete. Das war die Frau Bohlen, und sie sollte ihrem Namen nach meinem subjektiven Empfinden noch alle Ehre machen.

Die Frau Bohlen wurde von mir auch so genannt, während ich alle anderen, mit deren stillem Einverständnis, duzte. Das hatte nichts mit Respekt ihr gegenüber zu tun, sondern mit einem von mir einmal vor Jahren geäußerten Prinzip, nach dem ich einerseits nur solche Leute sieze, denen das auf Grund ihres Stands und meiner persönlichen Hochachtung zusteht, und andererseits solche Leute, die ich nicht ausstehen kann. Das klingt möglicherweise paradox, aber der Raum dazwischen ist groß und weit und bislang fahre ich gut damit.

Ich machte an jenem Tag erst einmal mit „Mutti“ die Hauptküche sauber, wobei sie die Fußböden schrubbte und mir den Auftrag gab, den Speiseaufzug und die Oberflächen der Schränke und die Ablagefächer zu reinigen. Kein Problem, Viss schafft alles. Dann ging es an den ersten Spülgang, den ich mit der Frau Bohlen absolvierte – und die ordnete das Geschirr auf Tisch und Ablage ganz anders an, als Dennis es mir beim letzten Mal gezeigt hatte, und dem entsprechend unzufrieden zeigte sie sich auch mit meiner Arbeitsleistung.
(ungeduldig) „Was machst Du denn? Das gehört doch ganz anders da hin!“
„Moment, ich dachte, das würde so und so…“
(genervt) „Nein, das gehört so und so…“
Nun gut, vielleicht hatte ich das auch falsch in Erinnerung, könnte ja sein.
Im Durchgang am Mittag war die Frau Bohlen dann irgendwo anders beschäftigt und ich spülte mit David. Ich stellte das Geschirr so ab, wie Frau Bohlen es vorgemacht hatte, und sofort saß mir David im Nacken.
(erstaunt) „Was machst Du denn da für’n Scheiß?“
„Die Frau Bohlen hat gerade vorhin gesagt, dass…“
„Ach, die hat doch keine Ahnung! Wir machen das so und so, genau so, wie Dennis mir das beigebracht hat!“

Immerhin war deutlich, dass er seinen Ärger gegen Frau Bohlen richtete, und nicht gegen mich, aber ich sah mich schon zwischen den Stühlen sitzen. Meine Befürchtung minderte sich dadurch, dass ich David scheinbar sympathisch war. Jedenfalls unterhielten wir uns ganz zwanglos, was mir etwas von meiner Anspannung nahm. Er erzählte mir von seinem wichtigsten Hobby, und zwar Computertuning. Scheinbar legte er das zwanghafte Verhalten an den Tag, das jeweils neueste und aktuellste Teil in seinen Rechner einbauen zu müssen, um High-End Spiele spielen zu können, und er hatte auf dieser Basis eine Freundschaft zu einem der Köche, der wohl auch so ein Freak war und darüber hinaus mit mir den Vornamen gemein hat. Ich verstand so ziemlich gar nichts von dem, was er mir erzählte, aber er reagierte erfreut, als ich ihm erzählte, dass ich Computerspiele möge; allerdings konnte er damit nichts anfangen, weil mein Interesse entweder rundenbasierenden Strategiespielen gilt (im Gegensatz zu Echtzeitspielen), oder aber älteren Spielen, für deren Betrieb man auf einem heutzutage normalen Rechner zum Teil schon Hilfssoftware braucht. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass wir uns gut verstanden, wenn ich auch weit davon entfernt war, unser Verhältnis auch nur in die Nähe von „freundschaftlich“ zu rücken. Er war mir durchaus sympathisch, weil er mich von Stress und Frust ablenkte, aber für mehr waren wir meines Erachtens zu unterschiedlich.

An dieser Stelle, wo ich gerade von Nähe und Distanz spreche, möchte ich einschieben, dass außer der Verwalterin und der Hausdame niemand in dem Laden meinen Namen kannte. Die Hausdame hatte mich eingangs nicht vorgestellt, ich habe das nachher auch selbst nicht getan, und ich wurde auch nicht gefragt. Ich fand es irgendwie amüsant, dass da noch einer meines Namens war, ohne, dass jemand was davon wusste, und dass alle männlichen Mitarbeiter der Spülküche damit den selben Anfangsbuchstaben teilten. Allein Dennis wusste, dass ich studierter Japanologe bin, weil er mich gefragt hatte, was für einen Jobhintergrund ich hätte. David wiederum fragte nicht weiter nach, der gab sich damit zufrieden, dass ich Student war.

Davids zweites Hobby jedenfalls waren gemeinsame Discobesuche mit seiner Frau (und ich habe keine Ahnung, ob man die Läden heute überhaupt noch „Discos“ nennt), das war dann doch völlig jenseits meiner Interessensphäre. Er erzählte auch frei heraus, dass er schon auf Bewährung verknackt worden war, nachdem er jemandem die Nase gebrochen hatte, der seine Frau zu auffällig angeschaut hatte, und ich hatte von seinem Ton her nicht den Eindruck, dass er das als einen Glanzpunkt in seinem Leben betrachtete. Ja, er kritisierte sogar die ihm gegebene Impulsivität. Da war ich direkt erstaunt, geradezu beeindruckt. Er trug sich allerdings mit der Theorie, dass die deutsche Justiz Arbeitssuchende stärker in die Mangel nahm, als Leute mit Job.

Im Übrigen muss man überdies festhalten, dass er von seiner Frau nur in positiven Begriffen sprach, also nicht etwa von seiner „Alten“ oder so was, während er der Frau Bohlen gegenüber einen eher rauen Ton anschlug, der für mich nur sehr fadenscheinig humoristisch getarnt klang. Ich kann mich natürlich irren, aber ich glaube, er hat damit nicht wenig zu ihrem Frust beigetragen (gegen ihn anzureden war bei seiner Schlagfertigkeit schwer), der letztendlich an mir hängen blieb.

Für die Mittagspause hatte ich diesmal nichts mitgebracht und wollte in die Stadt gehen, was ich nebenläufig David gegenüber erwähnte, worauf der mich belehrte, dass das aus hygienischen und rechtlichen Gründen nicht erlaubt sei, ich dürfe das Gebäude nur mit gutem Grund und mit besonderer Erlaubnis der Hausdame verlassen, und „sich ein Mittagessen besorgen“ gehörte wohl nicht dazu. Na super. Immerhin hatte ich ein Buch dabei, mit dem ich mich dann in den Umkleideraum setzte, ans Fenster mit Blick auf den Dom. Wasser gab’s am Wasserhahn reichlich, immerhin, und niemand störte mich, mit Ausnahme von einem jungen Kellner, dessen Schicht um 1300 begann.

In der Woche darauf sollte ich mit David die Küche putzen und machte mich selbständig daran, Lift und Schränke mit Viss zu bearbeiten, bis er mich nach nicht mal zwei Minuten verwundert fragte, was ich da mache. Das gleiche, wie letzte Woche, gab ich an, worauf er sagte, ich solle die Schränke vergessen, mich auf den Aufzug beschränken, den Boden schrubben, und im Anschluss die Siebe der Abflüsse sauber machen. Hm, lecker. Dann wurde das verbliebene Wasser mit einem Abzieher beseitigt, denn schließlich sollte vermieden werden, dass sich jemand die Gräten brach. Mit nur wenig Anlauf hätte ich auf meinen Schuhen durch die gesamte Küche rutschen können.

Andere Reinigungsaufgaben fielen ebenfalls an, wie zum Beispiel die Feuchtreinigung des Magazins, der Umkleideräume, und des Aufenthaltsraums. Das Magazin, also das Lager für die Bedürfnisse des Kochbetriebs, wurde während der Pause der Köche gereinigt, und zwar flott, damit der Boden trocken sein konnte, bevor die aus der Pause zurückkamen. Auch bei den Umkleideräumen wurde kein Unterschied gemacht, der Damenumkleideraum wurde mir ebenfalls überlassen, inklusive der Toiletten für Mitarbeiter. Der Pausenraum war wegen der angehäuften Überreste der Raucherexzesse ganz besonders widerlich. Toiletten schrubben – in Ordnung. Entsorgen der Bioabfälle, die wir bei der Vorreinigung von Tellern und Schüsseln kratzen – auch in Ordnung. Aber beim Reinigen von Aschenbechern könnte ich kotzen.

Zum vierten Arbeitstermin hatte die Frau Bohlen es bereits geschafft, meine Arbeitsmotivation in den tiefsten Keller zu treten. Ich dachte mir an dieser Stelle, dass es sich vielleicht nur um eine vorübergehende Phase handeln könnte, vielleicht hatte die Frau Bohlen gerade irgendwelche vorübergehenden Probleme, die sich auf ihre Laune auswirkten? Ich beschloss, mich noch zwei Wochen lang zusammenzureißen und zu sehen, wie sich die Sache entwickeln würde.
Na klar, ich machte Fehler. Zum Beispiel wurde mir einmal gesagt, ich solle bei der Kühlkammer aufwischen. Damit war der Bereich VOR der Kühlkammer gemeint, wo auch der Lastenaufzug war. Ich hatte aber etwas missverstanden und war der Meinung, dass die Kühlkammer selbst gereinigt werden müsse, also schwang ich dort den Mob. Ich wischte einen 50 cm langen Streifen zwischen zwei Regalen und mir fiel sofort ein matt glänzender Grauschleier am Boden auf. Ich dachte noch, dass hier irgendein fettiges Zeug rumliege (vielleicht Bratfett?) und prüfte mit dem Finger – verdammt, das war Eis! Die Hand traf die Stirn und mir entfleuchte ein böses Wort. In der Mittagspause danach stahl ich mich heimlich mit der Spachtel zurück in den Kühlraum…
Andere Fehler implizierten zum Beispiel, dass ich einen Topf mit angebranntem Bodensatz vorzeitig ins Spülwasser stellte, und dieses somit verschmutzte, anstatt eine kleinere Menge Spülwasser in den Topf zu füllen und ihn damit zu schrubben. „Mutti“ machte darüber kein großes Aufsehen, erklärte mir ruhig, warum das keine gute Idee gewesen war, ich verstand es und damit hatte es sich.

Auf Grund der Tatsache, dass ich die wenigste Erfahrung mit den Handlungsabläufen hatte, brauchte ich länger als die anderen, um die mir zugewiesenen Aufgaben zu erledigen. Und unter anderem da machte sich bemerkbar, dass die Frau Bohlen extrem schnell genervt und frustriert war und mit Stress nicht gut zurecht kam. Wann immer sich der Feierabend über die Marke halb Vier hinauszuschieben drohte („Im Küfer sitzen noch mindestens 30 Leute“), begann sie zu fluchen und verzweifelt zu klagen („Awei hab isch keen Bock mehr, awei hab isch keen Bock mehr…“), als habe man ihre vorzeitige Entlassung aus einem Arbeitslager abgelehnt und sie wegen des Antrags zu 100 Stockhieben verurteilt. Ich wurde von ihr allein – und von niemand anderem – für kleinste Fehler aufs heftigste angefahren. Nicht grob beleidigt, aber sie sprach mit mir in einem sehr ungehaltenen Ton wie mit einem unmündigen Idioten, oder wie mit einem, der durch geplante Sabotageakte den heiligen, zeitigen Feierabend hinauszögerte.

An einem Morgen, als die Frau Bohlen gerade woanders beschäftigt war, war mir der Unterteller einer Capuccinotasse heruntergefallen und in zwei Teile zersprungen. Ich fragte „Mutti“, was in einem solchen Fall zu tun sei, und sie sagte, ich solle den Verlust in eine ausliegende Liste eintragen (Tag, Uhrzeit, Grund, Unterschrift) und die Reste einfach wegwerfen. In Abwesenheit eines anderen Mülleimers warf ich die beiden Hälften in den Sack, in den wir das Zeug warfen, das nicht als „Speisereste“ (für die Schweinezucht) galt, also Servietten, Bierdeckel, und all das, was Gäste auf dem Teller zurückließen und in den Restmüll kam. Damit, dachte ich, sei die Angelegenheit erledigt. Falsch gedacht: Irgendwann während der Vorbereitung des Nachmittagsdurchgangs fiel der Frau Bohlen auf, dass Keramikteile in dem Sack lagen.
Wie bereits erwähnt, in einem sehr ungehaltenen, scharfen Ton:
„Wer hat denn den kaputten Unterteller da rein geworfen?“
Ich sagte, dass ich das gewesen sei.
„Das gehört da nicht rein!“
„Das wusste ich nicht, niemand hat mir das gesagt.“
„Der Hausmeister tritt die Säcke noch zusammen! Der könnte sich doch in den Fuß schneiden! Willst Du das!?“
„Natürlich nicht, aber hier ist ja kein anderer Müllsack…“
„Dann nimmst Du Dir jetzt gefälligst Handschuhe und fischst das Zeug aus dem Sack raus!“
Knapp vor 180 stakste ich also zum Regal rüber, wo meine Gummihandschuhe liegen sollten. Da lagen sie aber nicht. Ich hatte sie nach der letzten Verwendung vor einer Woche (den Termin dazwischen brauchte ich sie nicht) zu den anderen gepackt, aber die Handschuhe mit meinen Initialen waren nicht mehr da. Und auch keine neuen. Also nahm ich mir das erste paar Gummihandschuhe, die ich in die Finger bekam und wollte sie überstreifen.
„Das sind meine!“ protestierte Frau Bohlen.
„Ist das so wichtig?“ gab ich zurück und mühte mich weiter mit den Handschuhen ab.
„Das sind MEINE HANDSCHUHE!“ sagte sie noch einmal mit mehr Nachdruck und sah mich aggressiv an, als habe sie mich bei dem Versuch erwischt, in die Putzhandschuhe zu pinkeln.
„Ich habe keine ansteckenden Hautkrankheiten!“
„Benutz gefälligst Deine eigenen!“
Ich stand kurz davor, sie niederzuschlagen und langsam zu erwürgen. Ich rupfte die halb angezogenen Handschuhe wieder von den Fingern, stopfte sie in den verdammten Karton zurück, nahm den blauen Sack aus dem Ständer und wühlte mit bloßen Händen in der warmen und feucht-glitschigen Masse herum, bis ich die Tellerhälften gefunden hatte. Ich legte sie beiseite und brachte sie zu einer Mülltonne, als ich die Zeit dazu fand.

Ich bin ein viel zu defensiver Mensch, glaube ich. Ich war drauf und dran, der Frau Bohlen gegenüber mein Bedauern dafür auszudrücken, dass sie es in ihrem beschissenen, unbedeutenden Leben nur bis zur Geschirrspülerin gebracht hatte, und dass sie den Frust darüber bitte nicht an mir auslassen solle. Aber ich ließ es bleiben, was ich im Nachhinein doch irgendwie bedauere…

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