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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

26. April 2012

Gaytal-Kamikaze (Teil 9)

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 18:03

Der Kurde machte sich. Er hatte seinen Gefahrgutschein geschafft, während andere im selben Lehrgang durchgefallen waren, und es schien ihm gut zu tun, er kam nur noch ganz selten zu spät zur Arbeit und schien disziplinarisch über den Berg. Er sagte nur manchmal mit einem Grinsen, dass er sich seine alte Tour in Bitburg zurückwünsche.
So vergingen ein paar Wochen und irgendwann im Dezember kündigte er dann an, ab Februar oder März werde er sich wieder beim Arbeitsamt einreihen. Da bei ihm nie sicher der Ernst von dem Spaß unterschieden werden konnte, schrieben wir das erst einmal seiner Nostalgie zu, die ihn scheinbar neuerdings mit Bitburg verband; sprich: Der neue Job als “Springer” für Notfälle und Gefahrgutfahrer erfüllte ihn vielleicht nicht und er hatte es vorgezogen, zu gehen (oder zumindest in dieser Richtung Witze zu machen).
Allerdings machte noch jemand anders eine ähnliche Bemerkung, was mich dann doch neugierig machte. Immerhin musste die Firma 600 E blechen, um die Lehrgangskosten zu zahlen, da lässt man doch den Belehrten nicht ein paar Wochen später einfach so wieder gehen? Ich fragte Peter und der sagte, er wisse von nichts. Nun gut…

Zeitsprung: Anfang März 2012. Betriebsversammlung im Pausenraum. Betriebsversammlungen sind nie ein Grund zur Freude. Der Kurde hatte mit dem Feuer gespielt und sich dabei in die Luft gejagt, bildlich gesprochen. Konkret ausgedrückt, sah das so aus und ich erläutere ein paar Abläufe, damit man sich das Gesamtbild vor Augen führen kann:

Ein Paket wird vom Kunden abgeholt und von dem für das Gebiet zuständigen Lager per Scan aufgenommen. Pakete verschiedener Kunden gelangen von dort aus in ein Zentrallager, in welchen Paletten aus Paketen zusammengestellt werden, die einem bestimmten Depot zugeordnet werden können, zum Beispiel Trier. Die ganze Palette erhält einen Barcode, der beim Be- und Entladen des LKWs gescannt wird, um das Vorhandensein der Palette zu bestätigen. Im ausliefernden Depot wird die Palette abgepackt und der Wareneingang scannt noch einmal jeden einzelnen Barcode der einzelnen Pakete, damit der Server weiß, dass die Ware vor Ort ist (der so genannte RWE-Scan). Die Fahrer nehmen die Ware ihrer entsprechenden Postleitzahlen dann vom Band und bestätigen den Empfang ihrerseits wiederum mit einem so genannten Beladescan.

Die vor unser aller Augen operierende kriminelle Gruppe, bestehend aus dem Kurden und drei Leuten vom Band (nennen wir die mal Luigi und die beiden coolen Jugendlichen), machte sich unter anderem zu nutze, dass die verwendeten Scanner durch den häufigen Gebrauch schon ein paar Gebrechen zeigten. Luigi übernahm den RWE-Scan und täuschte bei “gewünschter” Ware eine Fehlfunktion vor – das Band wurde angehalten, die Ware vom Band geräumt, und der Betrieb lief gleich weiter. Regelgetreu musste die angesprochene Ware, und es handelte sich wohl in der Regel um teure Notebooks für große Elektronikmärkte, natürlich wieder auf dem Band landen; stattdessen wurden die Computer auf eine Palette gestapelt, die Palette an die Wand für Sperr- und Gefahrgut gefahren und dort von dem Kurden in seinen Sprinter geladen. Zuhause lagerte der das ganze Zeug dann ein.
Das geschah so auffällig, dass sich keiner was dabei dachte, denn Waren aus Mischpaletten für die Elektronikketten werden oft übers Band geschickt und dann da unten wieder zu Komplettpaletten aufgestapelt, um sie in den LKW zu laden, der sie zum Zwischenhändler bringt (die Ketten kennt man ja aus der Werbung).

Vielleicht hätte das funktionieren können. Vielleicht. Aber erstens fielen die Mengen irgendwann auf, und zweitens handelte es sich zweifelsfrei um Ware, von der jeder in dem Geschäft weiß, dass sie Begehrlichkeiten unter den schwarzen Schafen weckt.
Was die Untersuchung ins Rollen brachte, weiß ich nicht, und ich habe auch nicht vor, die Angelegenheit weiter zu recherchieren. Die Sichtung der Überwachungsvideos brachte jedenfalls eindeutige Resultate. Die an der Decke hängenden Kameras sind in der Lage, in ihrerm Sichtbereich Barcodes von den Paketen abzulesen. Man kann die Software anweisen, einen gewünschten Barcode auf seinem Weg durch die Halle zu verfolgen. Und wenn jemand Ware ohne RWE-Scan mitnimmt, handelt es sich streng genommen bereits um Diebstahl (von daher sollte man niemals Ware auch nur anfassen, die noch als Palette am Kopf des Rollbands steht).
Die Sache flog also auf, die Bandaufleger brauchten von gestern auf heute drei neue Mitarbeiter. Die Diebe hatten in der Tat noch nichts von dem, was sie gestohlen hatten, verkauft und gaben alles zurück. Vielleicht wollten sie erst Gras über die Sache wachsen lassen? Warten, bis alle die Suche nach der Ware aufgegeben hatten?

Ich war vom Kurden doch sehr enttäuscht. Dass er ein Gauner war, war von Anfang an klar gewesen, aber eine solche Dummheit hätte ich ihm nicht zugetraut. Er wurde nicht angezeigt, angeblich, weil er als “Lagerist” der entwendeten Ware alles bereitwillig zurückgab. Er bekam Hausverbot im Depot und fuhr für Peter weiter – im Auftrag des DPD. Das frustrierte mich gewissermaßen, denn ich hatte noch keinen gekannt, der so viele Chancen erhalten und alle vergeben hatte, und ich fand, dass es an der Zeit war, dass er endlich für seine Dummheiten zahlte. Wenn Soldaten potentielle Mörder sind, dann sind Transportfahrer potentielle Diebe, und da ich meinem derzeitigen Beruf mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit nachgehe, fühle ich mich doch irgendwo in meinem Ruf geschädigt, auf den ich Wert lege.

Allein, man sagte mir, dass es bei dem Stand der Dinge unwahrscheinlich sei, dass er dafür ins Gefängnis gehe – wenn da nicht ein kleiner zusätzlicher Faktor wäre: Er war zwar nicht angezeigt worden, tauchte aber natürlich in den Aussagen seiner Komplizen auf, die sehr wohl eine Anzeige erhalten hatten. Die Staatsanwaltschaft, hieß es, habe daraufhin eigenmächtig ein Verfahren gegen ihn eingeleitet. Und: Wenige Wochen zuvor war der Kurde wegen einer Schlägerei auf einem der zahlreichen Weinfeste im Herbst zu einem halben Jahr auf Bewährung verurteilt worden. Das dürfte sich nun bemerkbar machen. Aber ein halbes Jahr ist ja schnell vorbei. Zuletzt war von ihm zu hören, er wolle Deutschland den Rücken kehren und in Mossul, wo er ja einmal hergekommen war, sein Glück versuchen.

Peter berief daher also eine Betriebsversammlung ein, um alle zu informieren und wollte reinen Tisch:
“Wenn von Euch noch einer da mit drin steckt, dann soll er es jetzt sagen, oder im Laufe des Tages unter vier Augen. Jetzt kann ich noch was für Euch tun, später geht das nicht mehr.”
Es gab tatsächlich noch einer unter vier Augen ihm gegenüber zu, sich an der Ware vergriffen zu haben, und aus irgendeinem Grund fanden sich im Laufe der darauf folgenden Woche drei verschiedene Leute, die mir den Namen unabhängig voneinander zutrugen. Auch dieser Täter gab zurück, was er an sich genommen hatte und bekam seine Chance – die er, soweit ich ihn einschätzen kann, auch sinnvoll nutzen wird. Ob er allerdings mit dem Kurden und seinen Leuten vom Wareneingang zusammengearbeitet hat oder unabhängig davon sein eigenes Süppchen zu Auslöffeln kochte, ist bislang ein Geheimnis geblieben, und von mir aus kann das auch so bleiben. Ich gehe aber davon aus, dass er unabhängig gehandelt hat, da ihn sonst Luigi und die coolen Jugendlichen wohl mit in den Abgrund gerissen hätten.

Irgendwie verbreiten sich Geschichten immer, und ich frage mich, wer sie immer rumerzählt? Ich meine, einer muss damit anfangen, und wenn ich mich so umsehe, dann drängt sich mir der Gedanke auf, dass dafür ein sehr kleiner Personenkreis in Frage kommt. In einem Falle, also einer noch ganz anderen Geschichte über die Arbeitsweise des Kurden, kam die Geschichte allerdings nicht von Kollegen der Transportfirma, sondern von einer Person, die für das Depot selbst arbeitet. Ich will mich dafür nicht verbürgen und eine Gegendarstellung des Kurden zu bekommen, könnte schwierig sein, von daher erzähle ich nur nach, was man mir erzählt hat:

Es gibt irgendwo in unserem Zustellungsgebiet eine Straße innerorts am Hang, und an einer Stelle, wo sich zufällig auch ein Kebapladen befindet, fand eine Person eines Morgens ein auffälliges Paket, und aus irgendeiner unergründlichen Motivation heraus gab er es bei der erstbesten und dazu schwangeren Nachbarin ab: Den großen Aufkleber mit dem schwarzen, dreiteiligen “Ventilator” auf gelben Untergrund wusste er wohl nicht zu deuten. TATÜTATA! Dieser Fund, so gesundheitlich folgenlos er im Endeffekt auch gewesen sein mag, begründete unmittelbar einen Einsatz verschiedener Rettungskräfte, inklusive Polizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz, und was uns sonst noch wichtig und vor allem teuer ist.
Wie man mir erzählte, ist es unstrittig, aus wessen Auto dieses Paket stammte, denn der Barcode sagt alles. Der Kurde hatte dafür natürlich keine Erklärung. Uns bleibt daher nur das Reich der Spekulation, und da will ich mich zurückhalten. Sicher ist einzig, dass der Kurde nur selten an einem Kebapladen vorbeifahren konnte, ohne anzuhalten und auch was zu essen.

Eine Folge seines Abgangs für uns war natürlich, dass wir einen neuen Fahrer brauchten, und wir fanden einen, den Mike aus einem seiner zahlreichen anderen Beschäftigungsverhältnisse vor Transoflex kannte. Ich nenne ihn mal “den Kleinen”, weil er nicht gerade groß gewachsen ist; aber soweit ich das beurteilen kann handelt es sich um einen guten Mitarbeiter, der weiß, um was es geht, wie es läuft, und welche Regeln in dem Spiel gelten. Das schöne dabei ist auch, dass er gewissermaßen in meiner Nachbarschaft wohnt. Sollte es also technische Probleme geben, dann ist morgens um 0430 jemand in der Nähe, der mich zumindest mit in die Halle nehmen kann. Ich könnte wohl auch mit Puck fahren, aber der ist mir zu spät dran.

Wenn wir schon bei negativen Themen sind, dann reden wir doch auch mal über Menschenwürde.
Im vergangenen Sommer habe ich ja beschrieben, dass ich die verfügbaren (halb-) öffentlichen Toiletten geschickt nutzen muss, wenn ich mich nicht an den Straßenrand stellen will; ich meine, man muss die zivilisatorischen Errungenschaften ja nicht verschmähen, oder? Im Sommer jedenfalls hat das Problem eine andere Qualität als im Winter, wie ich in den letzten Monaten lernen musste. Im Sommer schwitzt man nicht unbedeutende Mengen dessen, was man trinkt, über die Haut aus. Ich habe zwei bis drei Liter getrunken, Wasser und Orangensaft, ohne deshalb mehr als ein- oder zweimal eine Toilette aufsuchen zu müssen. Im Winter dagegen fällt der Faktor Transpiration aus, und wenn es einem innerhalb einer Ortschaft plötzlich überkommt (und ich stelle fest, dass dies manchmal schnell geht, wenn man die Signale vorher in guter Hoffnung sozusagen beiseite geschoben hat), dann hat man nicht die Option, sich an die Straße zu stellen und macht sich am besten einen Knoten. Nee, das geht ja nicht so einfach.

Also Schließmuskeltraining. Aber alles hat Grenzen: Das Fassungsvermögen meiner Blase, die Stärke des Schließmuskels, und das Maß an Schmerzen, die zu ertragen ich bereit bin. Ich habe auch schon schreiend am Steuer gesessen, während ich mit Bleifuß aus einem Ort raus und in den nächsten Feldweg hineingerauscht bin. Was auch nicht verhinderte, dass zwei- oder dreimal was in die Hose ging. Rettender Vorteil im Winter: Die Jacke deckt das zu. Vorteil des Materials: Es trocknet schnell.
Eine Lösung musste her: Die Pinkelflasche. Die Saftflaschen, die ich kaufe, haben einen breiten Hals, und dieses Verfahren erlaubt es mir, auch innerorts mal schnell in der Ladefläche zu verschwinden, um den störenden halben Liter loszuwerden.
Toll ist was anderes, aber was soll ich machen?

Um noch etwas allgemeines einzustreuen: Unsere Autos scheinen in der letzten Zeit verstärkt Batterieprobleme zu haben. In der Folge musste Knut mehrfach ausrücken, weil sich in seinem Auto ein Überbrückungskabel befindet. So langsam glaube ich, wir haben zu wenige davon. Ein Ersatzfahrzeug, das mir zugeteilt worden war, sprang morgens nicht an, sogar der KIlometerzähler zeigte eine Null an und das einzige Lebenszeichen bestand aus einem kurzen, leisen Surren beim Einschalten der Zündung. Ein Ersatzfahrzeug, das man Puck an die Hand gegeben hatte, machte noch nicht einmal das. Das Lenkradschloss entriegelte nicht und der Zündschlüssel ließ sich nicht drehen.

“Zum Glück” fand dies an einem Sonntag statt, an dem er mit besagtem Ersatzfahrzeug nach Plaidt fahren sollte, um seinen LKW nach erfolgter Reparatur wieder in Empfang zu nehmen.
Um halb 11 rief Puck mich an, ob ich nicht eine Idee hätte: die Schließanlage des Sprinters muckse sich nicht. Ich ging runter, zog den Metallschlüssel aus dem Gehäuse des elektronischen Schlüssels uns konnte damit immerhin die Tür öffnen. Wie gesagt: Nicht einmal die Zündung ließ sich einschalten, weil der Schlüssel sich nicht im Schloss drehen ließ. Wir gingen zu mir hoch. Der Diponent wurde verständigt, der rief den Kleinen an. Um 11 Uhr kam der Besuch, den ich eigentlich erwartet hatte. Um kurz nach 11 kam der Kleine. Auch der ließ seine Kontakte spielen und bekam um etwa halb 12 ein Starterkabel organisiert. In der Zwischenzeit kam schon der Vorschlag, “Ach komm, pack die Karten aus!”, denn immerhin hatte ich dann schon mehr Leute zusammen als für den gedachten Spielenachmittag am Tag zuvor. Gemeint war damit BANG!, aber ich konnte die Karten nicht finden. Puck konnte dann endlich lostuckern (und Elmo, der auch nach Plaidt muss, mit einer Stunde Verspätung in Zemmer abholen).

Warum hatte ich eigentlich ein Ersatzauto? Weil an dem mir zugeteilten Fahrzeug, mit der Nummer 560, zwar die Batterie keine Probleme machte, dafür aber der Motor. Enge Kurven bergauf waren ihm zu anstrengend. Da konnte es sein, dass man beim Beschleunigen auf einmal das Gefühl bekam, der halbe Motor schalte sich ab. 90 km/h Spitze auf gerader Strecke. Auffällig gerade dann, wenn man einen niederländischen LKW überholen will und dabei feststellt, dass der um oder vielleicht auch über 100 fährt. Steigungen werden da zur Herausforderung: Zwischen Neuerburg und Waxweiler hat der Hügel bestenfalls 10 % Steigung: Der Sprinter nahm diese mit Ach und Krach 40 km/h. Anfangs konnte man dem beikommen, indem man kurz anhielt und den Motor abschaltete, aber nach einer Weile war’s auch damit vorbei.

Ich erhielt zunächst einen anderen Sprinter, den man noch irgendwo in der Mottenkiste gefunden hatte. Da war sogar noch ein Kassettenrekorder drin, in dem ein Band gefangen war, das vorderasiatische Musik dudelte. Das Radio ging gar nicht. Aber der Wagen hielt nur ein paar Tage: Als ich gerade von Olewig Richtung Uni hochfuhr, fing der Motor an zu knattern; ein paar Augenblicke später strömten Abgase in die Fahrerkabine. Ich riss die Fenster auf und fuhr noch 200 m bis zum nächsten Parkplatz. Ich besah mir den Motor (als Laie würde ich sagen, dass einer der Zylinderköpfe undicht war), stellte die Überforderung meiner Kompetenzen fest, unterrichtete die Firma und ging nach Hause.
Zwischendurch wurde der Wagen von Peter in Augenschein genommen, woraufhin er mir mitteilte, dass am Abend einer kommen würde, der das Auto abschleppen sollte. Der kam kurz nach Sonnenuntergang und ich half ihm, das Fahrzeug auf dem Anhänger zu vertäuen, kritisch beäugt von zwei Damen um die Vierzig, deren Fahrzeug wir am Verlassen des Parkplatzes hinderten. Alles in allem kamen wir nur auf drei von vier benötigten Spanngurten. Streng genommen hätten wir noch einen besorgen müssen, aber der Abschlepper wollte auch irgendwann einmal nach Hause, die beiden Damen wirkten von Sekunde zu Sekunde ungeduldiger, also fuhr er so davon. Es hat wohl auch geklappt.
Und das Auto, das ich dann bekam – das war das Auto, wo die Batterie streikte.
Danach bekam ich wieder den Wagen, mit dem ich ganz zu Beginn gefahren war, mit der Nummer 540.

Rückblickend muss ich feststellen, dass ich alle Probleme – selbstverschuldet (wie Festfahren im Schlamm und Karosseriekratzer) oder nicht (besagte technische Probleme) mit der 560 gehabt hatte.
Aber zumindest der Teil mit den selbstverschuldeten Problemen sollte leider auch an der 540 nicht vorübergehen. Aber davon beim nächsten Mal.