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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

13. März 2008

Gelesen: Die Päpstin

Filed under: Bücher — 42317 @ 23:36

Das Buch lag auf dem Wohnzimmertisch. Einsam und verstoßen sah es aus, meine Freundin hatte beschlossen, zur Erhöhung unseres Etats einige ihrer Drucksachen zu verkaufen, und “Die Päpstin” von Donna Woolfolk Cross war dabei. Das wollte ich eigentlich schon immer mal lesen, also eignete ich es mir klammheimlich an, stellte meinen bereits ansatzweise behandelten Kafka wieder nach hinten, und verstaute das Werk in meinem Rucksack, von wo ich es immer auf dem Weg zur Arbeit und zurück und auch sonst auf Reisen in öffentlichen Verkehrmitteln, hervorholte.

Was muss ich von einem Buch halten, das mir im Titel bereits verrät, wie es ausgeht?
Bei genauerem Überlegen sagt mir der Titel nicht, wie das Buch ausgeht, sondern nur, welches Schicksal die Geschichte für die Protagonistin bereithält.

Die Protagonistin, mit dem Namen Johanna, wird also an einem schaurig kalten und stürmischen Wintertag zu Beginn des 9. Jh. n. Chr. geboren, und im Großen und Ganzen wired in der Geschichte keine Gelegenheit ausgelassen, den verbreiteten Aberglauben der Menschen zu jener Zeit darzustellen:

Die Hebamme will Kräuter gegen die Geburtsschmerzen einsetzen, der Vater, seines Zeichens der Dorfpriester, wirft die sie mit Hinweis auf die Bibel (“Unter Schmerzen sollst Du gebären Deine Kinder!”) ins Feuer.
Als sie Jahre danach durch Gicht erwerbsunfähig wird und der Gemeinschaft zur Last fällt, wird sie der Hexerei beschuldigt und der Wasserprüfung unterzogen, wobei sie ertrinkt.
Die staatliche Rechtsprechung baut auf Gottesurteile, als gäbe es nichts verlässlicheres.
Die Pest ist natürlich eine Strafe Gottes.
Männer haben immer Recht, und Gelehrsamkeit von Frauen ist ein Anzeichen für Teufelswerk.

Nein, auf den Inhalt will ich im Detail gar nicht weiter eingehen.
Es sei so viel gesagt, dass die Heldin durch schicksalhafte Ereignisse in einer Männerrolle landet, und mit viel Herz und Verstand schließlich Mitte der 850er zum Papst gewählt wird. Das war damals scheinbar viel einfacher als heute. Damals wählte offenbar das Volk von Rom, und keine Versammlung von Kardinälen.

In der Mitte des Romans war ich drauf und dran, das Buch einfach zur Seite zu legen und es zu vergessen, weil mich die Achterbahnfahrt der Gefühle so abgestoßen hat. Johanna wird von ihrem sozialen Umfeld entweder geliebt oder gehasst. Dazwischen gibt es nichts. Und in diesem emotionalen Spannungsfeld steckt viel Potential für Drama. Wenn die Heldin etwas erreicht hat, zum Beispiel das Lesen oder die griechische Sprache gelernt oder eine Liebe gefunden, dann weiß man sofort, dass direkt nach der Darstellung des kleinen Höhepunkts der jähe Absturz in die nächste Katastrophe kommen wird.
Sie lernt lesen – der Vater schlägt sie halb tot.
Sie lernt Griechisch mit einem Buch – der Vater hält es für Hexensprüche. Und schlägt sie halb tot.
Sie darf auf eine Schule gehen – die Jungen und ihr Lehrer behandeln sie wie eine Aussätzige.
Sie küsst ihren Liebsten – ein neidischer Beobachter verrät es seiner ungeliebten Frau.

Auf Dauer etwas anstrengend. Aber nachdem ich die Hälfte schon gelesen hatte, wollte ich auch wissen, wie sich das Ende gestaltet.

Drei Päpste treten auf: Gregor IV. (aber nur kurz), Sergius II. und Leo IV. Unabhängig von ihrer jeweiligen persönlichen Charakterisierung werden die Päpste dargestellt als Gefangene ihres eigenen Systems. Sie sind umgeben von Vertretern und Handlangern zerstrittener Parteien und sind ständigen Intrigen (und Mordgefahr) ausgesetzt. Man könnte anhand der Handlung auch auf die Idee kommen, der größte Feind des Papstes sei die römische Ärzteschaft gewesen, in deren Fürsorge er sich befand. Wenn die Ärzte nichts besseres zu bieten haben, als ständigen Aderlass und Gebete am Bett des Kranken (dem man so den notwendigen Schlaf raubt), dann kann ich das auch gut verstehen.

Wenn man eine Portion Schmalz in Geschichten mag und einen Löffel voll Melodramatik als Nachschlag verträgt, und sich für kreative Ausschmückung historischer Begebenheiten erwärmen kann, dann kann man das Buch ganz bedenkenlos lesen, es wird keine Zeitverschwendung sein. Wenn man gegen Schmalz und Schmierendrama ein bisschen allergisch ist, wie ich (wenn schon Schmalz, dann bitte ich wenigstens um hübsche Garnierung), dann könnte es ein Fehler sein, das Werk in die Hand zu nehmen.

Letztendlich fand ich es nicht schlecht wegen der historischen Atmosphäre, die einem entgegen strömt. Da bekommt man richtig finsteres, dreckiges Mittelalter zu sehen, ohne die für solche Geschichten geradezu archetypische (spanische) Inquisition – die es im 9. Jh. noch nicht gab. Aber es war interessant, sehr lebhaft dargestellt zum Teil.

Lustig fand ich die Erwähnung von Gabeln als Essbesteck im Kloster zu Fulda, denn Gabeln haben sich in Europa erst nach der Renaissance durchgesetzt. Zu Zeiten vergehender fränkischer Reichsherrlichkeit schlürfte man Suppe aus der Schüssel, bestenfalls mit einem Holzlöffel, und Nahrungbrocken wurden mit Messern aufgespießt, zerteilt und dann mit den Händen gegessen.
Ich kann natürlich nicht sicher sein, dass besagte Stelle vielleicht nicht einfach ein Übersetzungsfehler ist – man bedenke die Dehnbarkeit des Begriffs “cutlery” und das Gehalt des durchschnittlichen Übersetzers. 🙂
Unbedacht fand ich auch die Stelle, wo Dörfler nach der Verbrennung einer angeblichen Hexe rufen; dabei sind Verbrennungen von Hexen erst viel später eingeführt worden und waren – als heidnischer germanischer Brauch – in der dargestellten Zeit sogar verboten, per Dekret Karls des Großen.

Begegnungen – Der Zwielichtige

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 21:21

Da diese “Serie” scheinbar gut ankommt, möchte ich hier auf eine alte Geschichte eingehen. Diese Begegnung hat bereits im Frühjahr 2006 stattgefunden und war, soweit ich mich erinnere, die erster ihrer Art.

Da kam ein Herr um die Mitte 50 herein, seine Kleidung war schlicht, wenn auch nicht unter Standard (von Teppichkunden diesen Alters). Die Chefin war näher an der Tür, also sprach er sie an, in einem auffälligen russischen Akzent:

“Gutten Tag. Ich bin Spezialist für rrussiche Teppiche. Darrf ich mich umsehen?”
Natürlich durfte er. Sein Blick blieb allerdings schnell an dem Kazak haften, der damals noch unter dem Gästetisch lag. Ein nicht allzu hochwertiges Produkt aus den späten Siebzigern, wenn ich mich nicht irre, und wohl etwas von der Sorte, von der die Chefin sagt, dass sie es gerade noch mit ihrem Gewissen vereinbaren könne, diese Qualitätsstufe anzubieten.

Der Kazak jedenfalls schien ihm auffällig. Dann fragte er:
“Chaben Sie auch antike Teppiche?”
“Nein,” sagte die Chefin im Brustton der Überzeugung, “nur, was Sie hier sehen.”
Ganz ohne Euphemismen ausgedrückt: Eine glatte Lüge.
Der Herr ließ es damit bewenden, bedankte sich und ging wieder.
Mein fragender Blick konnte nur auffallen.

“Ich mache grundsätzlich keine Geschäfte mit Russen.” Und der hier hatte offenbar in dem Moment verloren, als er sich ganz auf den an sich neu zu nennenden Kazak konzentrierte. Den für Laien ordinär aussehende, aber 200 Jahre alten Adlerkazak an der offen ersichtlichen Wand im Rücken des Büroteils hatte er nur eines kurzen Blickes gewürdigt.
“Ich bin Shpezialist für rrussische Teppiche, habe Ahnung von gar nix!” machte Sie sich über ihn lustig.

Jetzt war die Abneigung gegen Russen aber immer noch nicht so ganz geklärt, und die dazu gehörige Geschichte kam später zur Sprache. Ich erinnere mich allerdings nicht, ob es der gleiche Tag war.
Sie erzählte von einem Trierer Telekommunikationshändler, der Mitte der Neunziger (?) fette Gewinne gerochen und eine Außenstelle seines Geschäfts in Petersburg eröffnet hatte, unter der Leitung seines Sohnes, der wohl Russisch konnte.
Einige Tage nach der Eröffnung kam ein Herr im Geschäftsanzug in den Laden und sagte in deutscher Sprache:
“Ich kaufe alles, was sie haben” und legte einen halben Aktenkoffer voller Dollarscheine auf den Tisch. Da wurde erst gar nicht gezählt, sondern die Ware ausgeliefert.
Wochen danach wiederholte sich die Szene mit dem gleichen Herrn. Wieder kaufte er den kompletten Bestand und wieder zahlte er bar mit bündelweise Dollarnoten, die man erst gar nicht abzählte.

Als er einige Wochen darauf wieder kam, kaufte er nicht wieder die ganze Ladenauslage, sondern ließ, in einem nicht näher ausgeführten Gespräch, durchblicken, dass er für seine Großzügigkeit gewisse Gegenleistungen und Gefälligkeiten erwarte.

Das war dem Trierer Kaufmann dann doch unheimlich, bestellte seinen Sohn aus Russland zurück und veräußerte die Petersburger Außenstelle. Nichtsdestotrotz stand der Petersburger Herr einige Monate später in seinem Trierer Laden.
Es heißt, die ganze Familie sei daraufhin mit polizeilicher Hilfe untergetaucht.

Ich habe Verständnis für das Argument. Ich würde auch keine Geschäfte in Russland machen wollen, das Gelände erscheint mir zu sumpfig. Es ist natürlich bedauerlich, dass wegen der Schafe im schwarzen Mafiapelz Russen und vor allem Einwanderer aus der ehemaligen UdSSR in erster Linie mit solchen Hintergründen in Verbindung  gebracht und deshalb in der Regel von Einheimischen gemieden werden – weswegen die unter sich bleiben, eine eigene Subkultur bilden, was zu weiterer Abschottung und zu weiteren Vorurteilen führt.
Ich bin jedenfalls angewiesen, niemandem gegenüber die Antiquitäten in der oberen Etage zu erwähnen, der nicht zur bereits bekannten Kundschaft gehört oder der nicht durch sein geäußertes Vorwissen erkennen lässt, dass er auch Ahnung davon hat. Einem Laien einen alten Kazak zu zeigen, ist reine Zeitverschwendung, und nur eine verschwindende Anzahl von Leuten denkt sich etwas bei einem seidenen Shirvan.