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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

4. Dezember 2023

Donnerstag, 04.12.2003 – Ohne den Winter wären die Tage länger und die Unterhosen kürzer

Filed under: Japan,My Life,Spiele — 42317 @ 7:00

Auch heute Mittag warte ich vergeblich auf Yui. Ist sie krank? Wenn sie keine Zeit hat, ruft sie doch gewöhnlich an. Ich verabschiede mich also vorläufig davon, dass unsere Treffen Mittwochs und Donnerstags dauerhaft regelmäßig geplant waren. Ich muss aber endlich meine Krankenversicherung zahlen, und Melanie sagt, das ginge mit dem Automaten. Für die Bedienung einer Maschine möchte ich Yui aber lieber dabei haben. Um 1215 verlasse ich die Halle wieder. Bis 1240 sehe ich dann meine Post durch und stelle fest, dass der Drucker im Center nach Tagen endlich wieder Tinte hat. Das muss ich direkt ausnutzen, und ich freue mich, dass der Rechner, an dem ich sitze, den Druckauftrag auch weiterleitet. Leider stelle ich dabei fest, dass ich Kais Mail versehentlich gelöscht habe, in der er mit den hehren Worten eines wahren Meisters erklärt hat, warum eine Kette an den Schweißstellen nicht so leicht rostet. Eigentlich wollte ich sie fürs Archiv mit ausdrucken…

Kitahara-sensei erläutert uns heute die Geschichte der Frauen der Gegend, die heute Aomori-ken ist. Es ist ganz interessant, wie sich die Neuzeit (also ab 1868) für die Frauen gestaltet hat. Die Gattin des ersten amerikanischen Lehrers in Hirosaki zum Beispiel bedauerte die armen Mädchen, die im Alter von 13 oder 14 Jahren bereits verheiratet wurden, und Heiraten war zu dieser Zeit wenig anderes als eine Umverteilung von Arbeitskräften. Und weil die Mädchen dringend benötigte Arbeitskräfte waren, waren sie vom existierenden Bildungsangebot weitgehend ausgeschlossen. Die Mädchen (und auch die Jungs), die eine Schulbildung erhielten, kamen aus besser gestellten Familien, die nicht unbedingt auf aller Hände Arbeit angewiesen waren. Mrs. Ing hatte offenbar auch Schwierigkeiten, zu beschreiben, was „Kalligrafie“ im japanischen Sinne ist. Das kann doch nicht so schwer sein – „man nimmt einen großen Pinsel und einen großen Bogen Papier und malt schwungvoll japanische Schriftzeichen darauf.“ Das war ein Satz. Ja, das sei schon richtig, sagt Kitahara-sensei, aber Mrs. Ing ging mit ihren Schilderungen (die sie an eine Zeitung in ihrer Heimatstadt schickte) auch weit mehr ins Detail, beschrieb die benötigten Requisiten und alles andere darum herum.

Während des Unterrichts setzt starker Schneefall ein. Gestern Abend hat es auch schon geschneit, aber der Schnee war sehr nass. „Es schneite Regen“, könnte man sagen. Der heutige Schnee dagegen ist von einer ganz hervorragenden Qualität, soweit ich das nur vom Anfassen und Formen her beurteilen kann. Allerdings soll es am Samstag gleich wieder regnen, sagt der Wetterbericht. Erst der Sonntag soll wieder richtig kalt werden. Warten wir’s ab. Aber heute schneit es erst einmal, mal mehr und mal weniger heftig. Aber die meiste Zeit stark.

Nach dem Unterricht erfahre ich von Melanie, dass Yui im Center auf mich warte. Das ist doch was. Vielleicht erhalte ich dann doch noch eine sinnvolle Beschäftigung fuhr den Nachmittag. Yui begleitet mich zur Bank und erweist sich (natürlich unverschuldet) wieder einmal als überflüssig. Ja, ja, von wegen Automat… wer hat das Gerücht bloß in die Welt gesetzt? Die Dame am Schalter nimmt den richtigen Zettel aus dem meinem Überweisungsblock heraus, bittet um die Zahlung von 2500 Yen, überreicht mir eine Quittung und die Sache ist erledigt. Tut mir leid, Yui…

100 Meter von der Bank weg, wieder in Richtung Universität, sehen wir einen Mann, der keine Kälte zu kennen scheint. Der gemeinte Herr ist etwa 170 cm groß, schlank, um die 40 Jahre alt und arbeitet kniend an seiner Garageneinfahrt herum. Durch das Knien ist seine Trainingshose so verrutscht, dass die Hälfte seines Hinterns zu sehen ist. „Kowai…“ sagt Yui dazu. Er steht kurz auf, zieht die Hose zurecht und kniet sich wieder hin – mit dem Ergebnis, dass all seine Mühe umsonst war. Er sieht noch immer aus, als wolle er ein Ei auf die Straße legen. Es juckt mich direkt in den Fingern, eine Portion Schnee von der Mauer zu nehmen und sie ihm in die Öffnung zu werfen. Aber ich lasse es lieber.

Yui schlägt vor, zum Lernen in das Restaurant über der Mensa zu gehen. Ja, warum auch nicht. Auf der Speisekarte finde ich ein paar (wenige) Sorten Spaghetti, als erstes „Napolitan“, also „Napoli“, mit Tomatensoße. Das will ich dann doch mal probieren. Andere Leute probieren McDonald’s in verschiedenen Nationen und ich eben Spaghetti mit Tomatensoße. Schließlich bin ich vor langer Zeit der „Pastasciutta-König“ gewesen. Ich glaube, das ist inzwischen 20 Jahre her. Die „Probierportion“ (also „klein“) kostet 390 Yen…

Und gerade eben geht mir der zweite Kugelschreiber aus, den ich hier gefunden habe. Ich schreibe offenbar unerhört viel. Ich muss mich in den Hörsälen dringend nach einem neuen Kugelschreiber umsehen – gewöhnlicherweise werden ja genug davon vergessen. Für den Moment muss ich auf meinen „ureigenen“ umsteigen.

… wo war ich? Ja, also 390 Yen für eine kleine Portion Spaghetti mit Tomatensoße, aber für nur 100 Yen mehr kann man noch „Nomihôdai“ („All you can drink“) dazu bekommen. Natürlich nur Softdrinks, aber so viel, wie man will, bis zum Ladenschluss um 1700. Die Auswahl an Getränken besteht aus Apfelsaft, Orangensaft, Eiskaffee, Oolong Tee, schwarzem Tee und Kaffee. Selbstbedienung. Nachdem ich von jedem was probiert habe, bleibe ich bei einer Mischung aus Apfelsaft und Orangensaft (1:2).

Die Spaghetti sind sehr interessant. In der Soße befinden sich kleine Fleischstreifen, Paprikastückchen, sichtbare Zwiebelstücke (so groß wie die Fläche meines Daumens) und ein einsamer Champignon. Ich würde sagen „Das ist kein Jim Beam!“ (und meine damit „Das ist keine Napoli-Soße!“). Ich habe schon viele Spaghetti mit Tomatensoße gegessen, nicht nur aus der Tüte, sondern auch echte – aber diese Zutatenzusammenstellung habe ich noch nirgendwo gesehen, auch nicht in Italien. Nu ja, aber es schmeckt. Der Geschmack ist gut, wenn auch vielleicht ein bisschen stark – ich fürchte, denen ist die Dose mit dem Fondor (Geschmacksverstärker auf Basis von Mononatriumglutamat) in den Topf gefallen.

Auf dem Tisch steht ein Parmesanspender. Aber nicht irgendein neutraler oder einer aus Japan. Nein, der Parmesan hier ist von Kraft. Also eigentlich teuer. Und es ist echter Parmesan, und kein „Parmesello“, wie man ihn in Deutschland für den Hausgebrauch kauft, wenn der Geldbeutel eher schmal ist. Parmesello ist kein Parmesan – echter Parmesan hat seinen Preis, und der ist normalerweise nicht von schlechten Eltern. Parmesello ist nur ein günstiges Plagiat, das mit dem ähnlichen Namen Werbung macht. Oh, Tabasco gibt es auch. Besser Tabasco als gar nichts scharfes.

Nach dem Essen gehen wir neun der 16 für die Klausur am Dienstag notwendigen Lektionen durch, und die Unterscheidung von „te-iku“ und „te-kuru“ macht mir immer noch gewisse Probleme, vor allem, wenn der zu bildende Satz keine physische Bewegung beinhaltet. Aber wie es der Zufall will, kommt um 1630 Kashima-sensei in das Restaurant, um einen Kaffee zu trinken. Genau den brauche ich jetzt. Ein professioneller Japanischlehrer, der überdies auch noch Englisch kann. Yuis Englisch ist leider zu rudimentär, um grammatikalische Zusammenhänge zu erklären. Aber zusammen mit dem, was Yui bereits erklärt hat, kann ich mir so langsam ein Bild davon machen, was es mit den fraglichen Konstruktionen auf sich hat.
Und wenn Kashima-sensei schon einmal am Tisch sitzt, kann er mir grade noch „te-oku“ und „te-aru“ erklären, zur Sicherheit. So weit ich ihn verstehe, bezieht sich die Verbkonstruktion „te-aru“ auf Dinge, die in der Vergangenheit bereits vorsorglich getan wurden, während man „te-oku“ verwenden sollte, wenn die Vorbereitungen im Gange sind oder überhaupt erst noch in der Zukunft begonnen werden sollen.

Um 1700 schließt das Lokal, und nachdem Kashima-sensei sich verabschiedet hat, gehe ich mit Yui in die Mensa, um noch ein paar Aufgaben durchzugehen. In der Mensa treffen wir (Saitô) Mio, die kleinere der beiden Mios. Aber viel ist in der Mensa nicht mehr zu machen, weil es da zu laut ist. Ich kann mich ja kaum auf das konzentrieren, was ich fragen oder sagen will. Aber ich schieße ein hübsches Bild von den beiden.

Yui und Mio 2003

Um 1815 komme ich an einen Rechner, schreibe meinen Bericht und spiele ein bisschen Go. Ich habe die CD mit dem Spiel darauf Ende Oktober im 100 Yen Laden gekauft und ich bin eigentlich sehr glücklich damit. Ich habe versucht, „Go“ aus dem Netz runterzuladen, aber ich fand große Bretter nur als kostenpflichtige Version, musste also mit einem kleinen 9×9 Brett vorlieb nehmen. Jetzt habe ich also 75 Cent investiert und habe eine „große“ Version, die man auch zu zweit (am selben Rechner zumindest) spielen kann, und man muss das Spiel nicht installieren (was ich ja am Unirechner eh nicht kann). Ich spiele direkt von der CD. Und ich verliere – mal wieder – haushoch gegen meinen elektronischen Gegner. Leider mangelt es mir ein wenig an Fähigkeit zur Fehleranalyse, also muss ich mir schon vorher ein generelles Vorgehen zurechtlegen. Ich merke, dass ich verloren habe, wenn ich dazu übergehen muss, auf den Gegner zu reagieren. Aber das ist auch grade alles, was ich merke, und ich verliere auch weiterhin… aber wenn ich hin und wieder spiele, wird das bestimmt noch. SangSu sagt, dass er auch Go mal gelernt habe, aber er sei „abgrundtief schlecht“ („chô warui“). Ich sehe mich am besten mal nach einem echten Brett um. Muss ja nicht gleich Teakholz sein.

Ich gehe nach Hause, als ich genug habe und komme noch früh genug an, um noch „Mujin Wakusei no Survival“ (ein Anime, „Überleben auf einem unbewohnten Planeten“) zu sehen. Danach läuft die Serie um diesen Detektiv in Kyoto (kein Anime, und ich habe immer noch nicht nachgesehen, wie man den Namen der Serie liest und übersetzt)1, dann „Trick“ und schließlich „Manhattan Love Story“.

Ich bin auch immer noch auf der Suche nach Downloadmöglichkeiten, aber ich weiß nicht einmal genau, wo ich eigentlich nach japanischen Live-Action Serien suchen muss, also habe ich noch nichts gefunden. Im Prinzip brauche ich eine Seite wie www.Animesuki.com, eben nur für Live Action Serien…

1 Es könnte sich um „Kyôto Meikyû“ handeln, „Labyrinth Kyôto“.

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