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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

14. Februar 2008

Begegnungen – der Negotiator

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 12:45

Da war sie also gerade gegangen, die emotionale Inneneinrichtungskünstlerin (ist jetzt nicht herablassend gemeint, eine sympathische Person). Es vergingen ein paar Minuten, und noch bevor wir mit dem Zurückräumen der gesichteten Stapel fertig waren und überhaupt einen Gedanken auf das weitere, für die Renovierung notwendige Umräumen im Obergeschoss verwenden konnten, da kam auch schon der nächste Kunde, dessen Anwesenheit von über einer Stunde die Renovierungspläne des Tages komplett über den Haufen schmeißen und mir damit einen freien Nachmittag bescheren würde.

Er unterschied sich deutlich von den letzten Kunden, ein etwa 60 Jahre alter, dünner Mann mit einer Jacke, die aussah wie ein besserer Parka. Sah wie ein pensionierter Vorarbeiter aus. Der Mann im Parka suchte einen Teppich von dreieinhalb auf zweieinhalb, der natürlich zu der räumlichen Umgebung seines Wohnzimmers passen sollte, das hieß eine bestimmte Art von Sahneweiß und Hellgrau, und nichts mit komplizierten Mustern. Modern sollte es aussehen. In dem Fall schaut man in den Katalog der Firma Makalu.

Dabei handelt es sich um eine Firma in Kathmandu, Nepal, unter deutscher Verwaltung, die Teppiche mit einer unglaublichen Anzahl vorgegebener Musterelemente (500 Seiten Katalog) mit kombinierbaren Mustern und individuell auswählbaren Farben (300 Stück) anbietet. Angeblich hat die Firma unter finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, was schade ist, denn die Produktpalette ist sehr interessant, sehr hochwertig, und wenn man Arbeitsbedingungen mit Milch und Fleisch vergleichen könnte, müssten die Teppiche ein “Bio” Siegel tragen. Für die Rohstoffe würde es kein Biosiegel geben, denn es handelt sich zwar um natürliche Wolle, aber um Anilinfarben – mit Naturfarben könnte man den speziellen Kundenwünschen nicht mit 300 Farben im Sortiment entgegenkommen.
Die Verwaltung stellt aber allen Angestellten und deren Familien eine Wohnung in einer eigenständigen Siedlung zur Verfügung und trägt Sorge dafür, dass Kinder zur Schule gehen können und dass eine Notversorgung existiert, wie Kranken- und Altersvorsorge.
Für einen Aufpreis kann man sogar das Design des Teppichs komplett selbst gestalten, und wenn ich das Kleingeld hätte, würde ich mir sofort meinen “Kurosamurai” Rundstempel in roter Seide in einen pechschwarzen Wollteppich weben lassen.

Wie dem auch sei. Während ich noch mit kleineren Arbeiten beschäftigt war, wurde der Katalog nach etwas  passendem durchgeblättert. Dabei fiel dem Kunden zwar ein Design ganz besonders auf, worauf er es herausnehmen und beiseite legen ließ, allerdings hatte er darauf bestanden, sich nicht an den Tisch zu setzen, sondern am Stapel rechts von der Tür zu stehen – vielleicht weil der in etwa die Höhe eines Tresens hat? Jedenfalls kam es, dass das herausgenommene Blatt (O-Ton) “elegant hinter den Stapel” segelte und dort verschwand. Sofortiges Nachsehen brachte es nicht wieder zu Tage, es war in der Tat in einem perfekten Abwärtskurvenschwung genau in die kleine Ritze zwischen der Palette und dem Fußboden gerutscht.

Es war also notwendig, den Stapel mit drei-mal-vier Teppichen komplett abzubauen, damit wir wieder an die Seite aus dem Katalog kamen und der Kunde musste sich notgedrungen doch an den kleinen runden Tisch setzen, der eigens für diesen Zweck vorhanden ist. Dort ging man den Farbkatalog dann durch, aber alles Betrachten im Teppichladen ist hinfällig, weil Farben im Licht der eigenen Wohnung (im Zusammenspiel mit den dort vorhandenen Farben) wieder ganz anders wirken. Der Mann nahm also den Farbkatalog mit und versprach, später wieder zu kommen.

Was er auch tat. Er wohne in der Zurmainer Straße, also nicht wirklich weit weg.
Und dann zeigte sich, was ihm zu dem gegebenen Namen – Negotiator – verhalf.
Eine irgendwie affektierte und positiv erregte Sprechweise war bereits vorher aufgefallen. Das fiel dann wieder ganz besonders auf, als es um den Preis ging. Der Standardpreis für einen Makalu dieser Größe beträgt 4200 E. Das heißt, das ist die unverbindliche Preisempfehlung des Herstellers, es ist nicht der Einkaufspreis im Großhandel. Aber mit der Chefin kann man verhandeln, durchaus, und wenn es nur um einen Barzahlungsrabatt von 3 % geht.

Er war nicht unfreundlich, meiner Meinung nach, aber er wurde – wie ein Bekannter von mir gerne sagt – “fickrig”. Schnelles, lautes Reden (lauter als notwendig und noch schneller als vorher) und Ins-Wort-fallen. Man war bereit, den Preis auf 3600 E zu drücken. Aber er wollte weniger. Redete wie ein Maschinengewehrund rechnete die verschiedensten Szenarion vor.

“Herr X, wenn ich Ihnen den Teppich für weniger verkaufe, ist für mich keine ausreichende Gewinnspanne mehr drin. Für den Preis bekommen Sie alle möglichen Serviceleistungen – bei Nichtgefallen nehme ich ihn anstandslos zurück, sie erhalten den Teppich kostenfrei geliefert…”
“Ach, den kann ich auch selbst abholen.”
“Unterschätzen Sie das Gewicht eines solchen Teppichs nicht, …”
“Mein Sohn hilft mir dabei.”
“… meine Mitarbeiter räumen Ihre Möbel um für die Vorlage…”
“Das kann ich auch selber, die paar Möbel verschieben.”
“Ich gebe Ihnen bereitwillig einen Preisnachlass von 600 Euro – das ist eine Menge Geld.”
“Könnte man nicht noch irgendwo 50 Euro rausholen?”
“Nein, nicht bei den Eigenschaften, die der Teppich haben soll.”
“Wir würden eventuell noch einen zweiten Teppich nehmen, von der gleichen Größe. Würden Sie in dem Fall einen Mengenrabatt geben?”
“Nein, das geht nicht. Ich gebe Ihnen den zweiten Teppich zu den gleichen Konditionen, dann sparen sie schon 1200 Euro, die mir dann im Geldbeutel fehlen.”
“Und wenn ich sagen würde, dass ich zu den Bedingungen keinen Teppich nehme, dann springt für sie doch überhaupt nichts raus!”
“Dann ist das eben so. Ich kann nicht unter ein gewisses Niveau gehen, und wenn ein Kunde das nicht zu zahlen bereit ist, dann entgeht mir halt ein Auftrag. Das ist Geschäftsrisiko, damit kann ich leben.”

Letztendlich würden die beiden Teppiche dann aber doch bestellt, für 3600 Euro das Stück.

“Wenn das alle Kunden machen würden, könnt ich mich aufhängen!” sagte sie nachher, und meinte nicht das geld, das ihr entgehen würde, sondern die Nerven, die es kostet, eine Stunde lang in einem solchen Stil mit jemandem zu verhandeln, der auch ständig ein lockeres Witzchen (mäßig witzig) auf den Lippen hat und meckernd darüber lacht.
“Eine Bekannte von mir, die auch Teppiche verkauft, macht das folgendermaßen: Auf alles, was sie an Ware herein bekommt, schlägt sie 50 % drauf, lässt sich dann auf großzügige Verhandlungen mit Kunden ein und verkauft die Ware letztlich in der Regel für den Listenpreis des Herstellers. Dann ist jeder glücklich. Sie hat Ihr Geld und der Kunde seinen Rabatt.”

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