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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

9. Februar 2008

Begegnungen – Der renommierte Kaufmann

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 23:01

Ich muss hier zwei unabhängige Begebenheiten zusammenfassen, weil sie in die gleiche Kategorie passen und so schön zu erzählen sind – von einem gewissen (wissenden) Standpunkt aus zumindest.

Da war eine Frau bei uns, man sah ihr einen gewissen Wohlstand an, die wollte einen Teppich bewertet haben. Immerhin fiel sie dabei nicht so tief, denn sie hatte ihn bei e-Bay gekauft, und immerhin für nur 50 E. Da das, was sie empfangen hatte, nicht so aussah, wie das, was der Verkäufer per Foto angepriesen hatte, war sie zu uns gekommen.  Der Teppich hatte keine Flecken – er war ein einziger gräulicher Fleck, unter dem man gerade noch erkennen konnte, dass er eigentlich großteils weiß sein sollte. Ich glaube, es war ein Ghoum mit Jagdszenen. Die Kundin glaubte, Rotweinflecken sehen zu können, dies konnte aber nicht bestätigt werden.

Der Knackpunkt, anhand dessen sie den Verkäufer belangen wollte, war allerdings, dass dieser angegeben hatte, es handele sich bei dem Stück um Handarbeit. Die Chefin besah sich daraufhin das Grundgewebe von unten und von oben an und stellte lapidar fest, dass es sich um einen maschinell hergestellten Teppich handelte. Und auch ein Laie wie ich konnte sich beim Befühlen des Flors des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich um chemisch behandelte Wolle handelte, die zwar anfangs flauschig weich ist, wegen des fehlenden natürlichen Wollfetts nach wenigen Jahren rau und brüchig werden würde. Das bedeutet, der Teppich wird immer stärker fusseln und eher früher als später durchgelatscht sein.

Die Kundin bekam es jedenfalls offiziell und schriftlich, dass sie vom Verkäufer betrogen worden war und gedachte, diese Blitz-Expertise ihrer Beschwerde hinzuzufügen. Wertvoll blieb allein der Hinweis, dass man niemals nie Teppiche auf e-Bay kaufen sollte, schon gar keine günstigen.
“Dabei handelt es sich in der Regel um Ramsch, der von Privatverkäufern quasi vom Sperrmüll geholt und ein bisschen aufgepeppt wurde, und wenn es kommerzielle Anbieter sind, handelt es sich in 95 % der Fälle um nicht minder wertlosen Ramsch, der seit sechzig Jahren im Hamburger Hafen im Lager rumliegt, weil niemand, der ernsthaft Interesse an Teppichen hat, diesen Mist kaufen würde.”

Viel lustiger eigentlich war aber der im Titel angegebene renommierte Kaufmann.
Lustig ist die Begebenheit, wie man erahnen kann, wegen einer nicht zu leugnenden aufkommenden Schadenfreude, die dadurch verstärkt wird, dass es sich bei dem renommierten Kaufmann um den angesehensten (und in seinem Fach wohl durchaus kompetenten) Juwelier der Stadt handelt.

Jener Herr kam also in den Laden und machte sofort einen hochmotivierten Eindruck, und der Teppich, den er unter dem Arm trug, schien damit zu tun zu haben. Er erzählte, er habe vor wenigen Tagen eine Geschäftsreise in den Fernen Osten unternommen und sei dabei mit mongolischen Teppichhändlern zusammengetroffen, von denen er ein hervorragendes Stück erworben habe, für nur 150 E pro Quadratmeter, und nun wolle er die Chefin für eine Kooperation begeistern.

Das amüsierte Lächeln im Mundwinkel der Chefin konnte mir nicht entgehen, und das, nachdem sie nur einen kurzen Blick auf das “Sample” geworfen hatte. Es handelte sich, wie im Falle der beschriebenen Dame,  um eine maschinell hergestellte und chemisch auf Glanz optimierte Kopie eines persischen Teppichs, Marktwert: 0. In Buchstaben: Null.
(Man nennt diese Teppiche im Fachjargon übrigens “Blender”.)

Dem Herrn Juwelier fiel die Kinnlade. Er hatte drei Stücke gekauft.
“Zu diesem Preis ein Original zu bekommen, das auch einen Wiederverkaufswert hat, ist eine Utopie. Sehen Sie, wenn ich in den Orient fahre, um Teppiche zu kaufen, sehe ich in den Basaren eine Menge verlockend aussehenden Schmuck. Aber ich kaufe nichts davon, weil ich von Schmuck keine Ahnung habe; das wiederum ist Ihr Geschäft.”

Der Herr Kaufmann packte den mitgebrachten Teppich mit zerknirschtem Gesicht in seinen Kofferraum. Damit werde er sich den Boden seiner Garage auslegen, sagte er.

Vielleicht sollten sich die beiden mal zu einer gemeinsamen Geschäftsreise koordinieren?
Das zu einem schelmischen Grinsen ausgewachsene amüsierte Lächeln wollte jedenfalls bis zum Abend nicht aus ihrem Gesicht weichen…

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