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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

7. Februar 2008

Begegnungen – Richie Rich

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 23:16

Theoretisch eine tolle Sache. Um 17:45 Uhr beginnen die Gedanken bereits um das Schließen des Ladens zu kreisen und man beschäftigt sich mit Dingen, die noch schnell gemacht werden müssen, meist Aufräumen, zurück in den Stapel, oder das Entfernen dicker Staubflusen, die überall dort und immer dann entstehen, wenn Teppiche in Bewegung geraten, bzw. Reibung ausgesetzt sind.

Das war jedenfalls so ein Moment, als noch einmal die Türglocke Laut gab und ein reichlich studentisch aussehender junger Mann den Laden betrat. Blond, Anfang bis Mitte 20, lässige Cordjacke, blaue Jeans mit Überlänge, an den Fersen der Turnschuhe durchgelatscht und zerrissen. Normalerweise sind das in der Tat Studierende, die mit ARO finanziell besser bedient wären, weil bei uns auch ein “Sperrmüllteppich” – das ist ein gebrauchtes Stück, den niemand mit einem mindestens vier- bis fünfstelligen Bankguthaben noch nehmen würde – mindestens noch 100 E kostet.

Der späte Kunde aber äußerte gleich zwei konkrete Fragen. Erstens interessierte er sich für die Buddhastatuen, die seit einiger Zeit in der Teppichgalerie herumstehen, und zweitens wollte er Galerien sehen, bis 4,50 m Länge.
Kein Problem. Die Chefin war noch am Telefon und ich ging mit ihm zu dem entsprechenden Stapel, wo ich ihn fragte, an welche Art, bzw. an welchen Stil von Galerie er denn gedacht habe. Das sei egal, sagte er, es müsse ihm nur gefallen. Hm, Kelim müsse es aber nicht unbedingt sein.
Das war so der Zeitpunkt wo die Chefin dazukam, und der Kunde begrüßte sie gleich zum Auftakt schonmal in Farsi (was mir natürlich nachher gesagt werden musste, weil die fremdartige Lautäußerung nicht gleich in meinem Gehirn ankam). Dann gingen wir die Teppiche durch und es stellte sich heraus, dass er mit den grundlegenden Mustern und Stilen vertraut war. Seltsam fand ich nur, dass er nicht wusste, wo Buchara liegt.

Das liegt in Usbekistan, und nicht in Turkmenistan, aber man korrigiert weder den Chef öffentlich noch einen Kunden überhaupt, ich spürte bereits so ein Zucken an der Zungenwurzel, als der erwachsene weibliche Bestandteil des vor einigen Tagen erwähnten Ehepaars sich im Rahmen eines kulturellen Vergleichs zu der Aussage verstieg, die “Eskimos” hätten 200 Wörter für Schnee…
Egal.

Jedenfalls erzählte der aktuelle Kunde, er sei mit solchen Teppichen aufgewachsen und wolle sich nun in Trier eine Wohnung einrichten. Beim “Durchblättern” des Stapels stießen wir dann auf einen schönen Turkmenen, der ihn interessierte. Wie groß der sei, wollte er wissen. Dem Standardprocedere folgend, las die Chefin die ganze Beschreibung vor, die auf dem kleinen, mit einer dicken Schnur angenähten Schild geschrieben steht, sowas wie:
“Turkmen – 4,85 m x 90 cm – Preis: …“, und da fiel er ihr ins Wort und sagte allen Ernstes:
“Ach, der Preis ist egal, der sieht gut aus.”

Dann interessierte er sich noch für kleine Stücke, die man an die Wand hängen kann, vielleicht etwas aus Seide? Wir zeigten ihm einen in blau gehaltenen Ghoum (auch “Ghom” oder “Qom“, je nach Transkription) im Größenbereich 60 x 40 cm, der ihm ebenfalls gefiel. Den Preis ließ er sich nennen, sagte aber daraufhin, dass dies das Limit sei, weil ihm nur 8000 E für seine Einrichtung zur Verfügung stünden. Aha. Nur.

Da war’s schon 18:05 Uhr. Aber wen interessiert die Uhrzeit, wenn die Kasse nachher stimmt? Jedenfalls fiel ihm dann zuerst der Samowar (ein traditioneller russischer Wasserkocher) und dann die verzierten Deckenlampen auf. Beides unverkäuflicher Privatbesitz, aber das machte ihm nicht aus. Er sei regelmäßig in Moskau und er versuche immer wieder, auf dem Markt etwas schönes in der Art wie unseres Samowars zu finden, wenn auch bislang vergeblich.
In irgendeinem kunstgewerblichen Zusammenhang erwähnte er auch Reisen nach Lissabon, aber ich habe die Details vergessen. Ebenso, wie er die halbe Zeit fast ununterbrochen plauderte, über fremdländische Dinge, die Otto Normaldosenbiertrinker nicht einmal wahrnimmt.
Und über die Lampenschirme meinte er lachend, er könne sie durch das Schaufenster hindurch abfotografieren, da er in Amsterdam eine Kunstschmiedin kenne, die sie ihm nachfertigen könne.

Warum er in dem selben Satz erwähnte, dass es sich bei der Person um eine aschkenasische Jüdin handele, ist mir nicht klar geworden, allerdings muss ich ihm Tribut dafür zollen, dass er das Wort überhaupt kennt und weiß, was es ist. Hätte ich nicht im Sommer ein Buch über jüdische Kultur gelesen, wüsste ich es auch nicht.

Um 18:15 Uhr ließ er sich dann die Daten der Stücke aufschreiben, die ihm gefallen hatten, und sagte, er müsse nochmal darüber schlafen, und dann ging er auch.

Die Chefin guckte mich verdattert an. “Herr Schwarz, was war denn das?”
Ich hatte mit der Frage schon irgendwie gerechnet. “Sein Auftreten ist zwanglos, seine Kommunikation ist natürlich. Seine Welterfahrenheit ist schon beinahe zu schön, um wahr zu sein, einzig das Detail, dass er Buchara nicht zuordnen konnte, ist seltsam.”
Es wäre jedenfalls ein gut vorbereiteter Gag gewesen.
Sie wandte sich zur Tür, um sie abzuschließen. “Der hatte schon Ahnung. Hat mich übrigens in Farsi begrüßt. Da war ich platt.”

Wiedergesehen haben wir ihn seither nicht, aber man weiß ja nie.

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