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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

28. März 2011

Aus dem Januar

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 11:58

Anfang Januar habe ich mit der Chefin Teppiche an eine Kundin zur Ansicht ausgeliefert, drei Stück in verschiedenen Stilen und ähnlichen Farben, von denen sich die Kundin einen aussuchen wollte.
An dem Tag regnete es wie aus Gießkannen. Ein kurzer Blick auf die Stadtkarte zeigte mir, wo ich hinmusste – die Allee runter, über die Brücke, dann links, zweite Straße rechts. Dass die Chefin dennoch das Navigationsgerät anbrachte, belustigte mich ebenso, wie mich die Stimme des Geräts nervt.
Irgendwie finde ich diese freiwillige Auslieferung an vermeidbare elektronische Unterstützung irgendwo bedenklich, weil man damit einen Teil seiner geistigen Fähigkeiten abschreibt, aber das mag nur ein inneliegender Konservatismus sein. Vermutlich hat man sich im frühen 18. Jahrhundert auch darüber Sorgen gemacht, dass der im sich entfaltenden Industriezeitalter aufwachsenden Jugend die landwirtschaftlichen Grundkenntnisse verlorengehen.

So wie ich vom Navi ist die Chefin dagegen gern von anderen Verkehrsteilnehmern genervt. Das entsprechende Haus war nicht sofort zu finden, weil es in der zweiten Reihe steht und eine ordentliche Nummerierung nicht gegeben ist. Wir fuhren also zuerst in die falsche Einfahrt, die zu einem kleinen Hof mit vier Garagen führt. Wie es der Zufall wollte, bog sofort hinter unserem Transporter einer der Anwohner ein, der es trotz der auffälligen Rückfahrleuchte nicht gebacken bekam, rückwärts wieder auf die Straße zu stoßen, damit wir wieder raus konnten. Ich manövrierte also auf dem kleinen Hof herum, bis ich nicht mehr im Weg stand, der Anwohner fuhr in seine Garage, und die Chefin hielt ihm eine Standpauke über ethisches Verhalten im Verkehr. 🙂

Aber zwei Minuten später fanden wir die richtige Nummer und nur die Kundin hätte uns beinahe in eine andere falsche Einfahrt gewunken, warum auch immer. Ansonsten eine nette ältere Dame. Wir legten also die Teppiche aus und verglichen deren Wirkung auf den Raum, da klingelte es an der Tür.
“Ach, Roswita, komm mal rein, ich kauf grad nen Teppich!”
Ich grinste mir das Gesicht breit.
“Wenn Freundinnen kommen, ist das nie gut!” meinte die Chefin dazu.
Roswita hatte auch gleich ihre uralte Mutter mitgebracht.

Dann redeten wir ein bisschen mit allen Beteiligten, und Roswita war wohl mal mit einem Perser zusammen und hat auch den einen oder anderen Teppich im Haus liegen, und dann schritt die Kundin zur Entscheidung.
“Was meinen Sie denn?” fragte sie mich plötzlich nach einigem Hin und Her.
Ich warf der Chefin einen Blick zu, schließlich weiß auch sie, dass ich die Angewohnheit habe, spontan die Wahrheit zu sagen. Sie schaute mich eindringlich an und deutete auf den afghanischen Teppich in der Auswahl. Das deckte sich mit meiner Meinung, also lobte ich den Teppich ohne schlechtes Gewissen. Das Stück ging über die imaginäre Ladentheke.

Ich ging zum Auto, während noch irgendwelche Modalitäten geregelt wurden, vergaß dabei meine Jacke am Kleiderständer, weil mir vom Umräumen warm geworden war, und Roswita hatte uns eingeparkt, wofür sie sich ebenfalls einen kurzen Vortrag bei der Chefin abholte.
Ich brauchte die dafür benötigte Zeit, um mit dem Gebläse die Scheiben frei zu bekommen, auf denen sich die Feuchtigkeit niedergeschlagen hatte, die an mir auf den 25 m zwischen Haustür und Wagen hängengeblieben waren.

Ich habe mich nicht schlecht amüsiert an dem Tag, nur die Chefin war nervlich ein bisschen mitgenommen, obwohl ich derjenige gewesen bin, der gefahren ist.

In der Folgezeit kam die Inventur auf uns zu, die wir in mehreren kleinen Portionen hinter uns brachten. Teppiche zählen sich nicht so gut wie Schrauben oder Marmeladengläser. Ich kann nicht genau sagen, warum, aber stundenlang einen Teppich nach dem anderen durch die Hände gleiten zu lassen, trocknet die Haut immens aus, also habe ich dieses Jahr Handschuhe getragen, und, o Wunder, es gab keine Platzwunden an den Fingergelenken, und Handschuhe sind angenehmer, als das schmierige Gefühl, das Handcremes verursachen.

Als die Inventur gelaufen war, begannen die Messevorbereitungen. Da müssen zum Beispiel Bretter zum Aufnageln der Teppiche aufbereitet werden, da die Hälfte davon die meiste Zeit im staubigen Keller liegt. Gestrichen werden musste allerdings nur ein einziges Brett, und das war nicht aus echtem Holz, sondern aus irgend einem Presszeug aus Holzabfall und Leim – was den Effekt hatte, dass die Farbe, die an den schmalen Seiten dreimal millimeterdick aufgetragen wurde, einfach zwischen den Poren verschwand. Nur ein leichter Weißschimmer blieb, von Lackierung im eigentlichen Sinne keine Spur.

Bemerkenswert an der Messe in Luxemburg war zum ersten, dass es diesmal drei Tage vorher, und nicht währenddessen schneite. Beinahe gemütliche Sache.

Zum zweiten wurde ein Nachbaraussteller von einem Missgeschick heimgesucht, nachdem der Aufbau beendet war. Da war wohl eine Anordnung von Gegenständen instabil aufgebaut worden, oder ein tragender Gegenstand hatte Schäden, oder der Bilderaussteller nebenan hatte die Zwischenwand ungeschickt behandelt:
Es polterte und klirrte. Antike Uhr: Verbogen und gesplittert. Antiker Tisch: Zerkratzt. Antike Marmorplatte: Zerbrochen. Der Haufen Zeug, der dann da lag, machte einen teuren Eindruck. Man sollte bei antiken Teppichen zwar nicht auf Faltkanten treten, aber immerhin kann man sie auch mal fallen lassen (vielleicht nicht unbedingt auf nassen Boden), ohne, dass sie Schaden nehmen.

Zum dritten habe ich dem altersschwachen Werkzeugkasten aus Plastik einen weiteren schweren Schlag versetzt. Schon vor meiner Zeit war der Tragebügel geborsten und durch Klebeband notdürftig gesichert worden, kleinere Stücke aus den Fächern waren immer wieder mal abgesplittert, Halina hatte erst vor wenigen Wochen den bereits angeknacksten Tragebügel durch Überbelastung weggebrochen und dabei eine dreistellige Anzahl von Kleinteilen über die Treppe verteilt, und als ich dann zum Messeabbau von der Leiter stieg, traf meine Ferse den Kasten, den nicht ich auf einen Stuhl hinter der Leiter gestellt hatte. Das Ding ging krachend zu Boden, ein Fach hat neuerdings ein daumengroßes Loch, eine der beiden Fächerladen besteht nun aus zwei Hälften, und der komplette Kasteninhalt musste aufgesammelt werden. “Sie wollen unbedingt einen neuen Werkzeugkasten, oder?” fragte die Chefin mit einem süffisanten Lächeln. Dabei bin ich noch dankbar, dass ich bei der vorhergehenden Neuordnung des Inhalts zwei Kilo Schrauben aussortiert hatte, die wir in den vergangenen fünf Jahren nie gebraucht hatten (wir brauchen im Laufe eines Geschäftsjahrs eine Handvoll Messingschrauben in zwei Größen, und damit hat es sich).

Von der Arbeitswelt in die Nichtsarbeitswelt:
Das Arbeitsamt lud mich kurz nach der Messe zu einer Infoveranstaltung ein, wo es um aktuelle Bewerbungsmethoden ging, weil, wie der Referent Herr Colling sagte, ganz haarsträubende Sachen über seinen Schreibtisch wanderten. Und er erzählte Sachen, die mir an sich bekannt waren. Über seinen Vortragsstil weiß ich nichts definitives zu sagen… entweder er versucht, sich an das Niveau des durchschnittlichen Trierer Arbeitslosen anzupassen, oder sein flapsiger Humor ist ihm ebenso eigen, wie er mir herablassend erscheint. Als Dreingabe überreichte er eine “Musterbewerbung”, die ich ihm grade in seinen Rachen stopfen könnte. Ich gebe da hier exakt so wieder, wie man es in den Unterlagen findet.

Auf dem ersten Blatt steht:
“Bewerbung als Verkäuferin bei der Firma Mustermann GmbH & Co.KG”
(Da wurde ein Leerzeichen vergessen.)
Darunter das Bild einer von einem Ohr zum anderen grinsenden Dame, die das womöglich für ein Lächeln hält, und die live und in Farbe hoffentlich besser aussieht, als auf dem körnigen S/W Bild.
Man blättert um, “Tabellarischer Lebenslauf”. Name: “Max Mustermann”.
(Geschlechtsumwandlung oder was?)
In dem tabellarischen Lebenslauf hat der (oder die?) Bewerberin 1993 Abitur gemacht, hat nach dem Grundwehrdienst “01.04.93 – 31.12.94” (der entgegen den gemachten Angaben nie 21 Monate lang war und zwischen 1991 und 1996 nur 12 Monate lang war), bis 09.97 Elektrotechnik studiert. Und so weiter.

Umblättern: “LEBENSLAUF”.
Plötzlich hat Max Mustermann mittlere Reife, mit Abschlussjahr 1967, und die Angaben auf dieser Seite sind komplett anders als die auf den Seiten vorher, mit Ausnahme des Ingenieurstudiums.
Die darauf folgende Seite offenbart eine “Bewerbung um einen Praktikumsplatz” und so langsam dämmert es dem Leser, dass er es hier nicht mit EINER Musterbewerbung zu tun hat, sondern mit einem Bündel verschiedener formaler Möglichkeiten. Aber das macht die Sache kaum weniger zum Haareraufen.

Der Schreiber dieser Bewerbung hat von deutscher Grammatik und Kommasetzung nur eine rudimentäre Ahnung und kauderwelscht rhetorischen Bullshit wie “Weiterhin beinhaltet dieser Beruf für mich einen guten Service in Verbindung mit einer guten Beratung, ständige Motivation (…), sowie den Willen sich für eine Sache einzusetzen”, als ob man damit nicht in vier Wörtern zweimal die jeweils gleiche Sache ausgedrückt hätte – Beratung ist Service, und der Wille, sich einzusetzen, ist Motivation.

Als letztes noch eine Kurzbewerbung als Geldbote, die jemand anders geschrieben haben muss, weil dieses Schriftstück in ordentlichem Hochdeutsch verfasst wurde und stilistisch vom germanistisch gelehrten Ideal nur insofern abweicht, als man Zahlen unter “13” als Wort schreibt, und nicht als Zahl, aber das ist reine Ästhetik.

Nichts als Ästhetik ist auch die Angabe im Lebenslauf “berufliche Neuorientierung”, bzw. analog dazu im Anschreiben “Jetzt möchte ich mich beruflich neu orientieren”, weil jeder Depp versteht, dass die Person schlicht und ergreifend arbeitslos war. Als ich 1999 eine mehrwöchige Maßnahme zum gleichen Thema machte, wurden wir angewiesen, nicht “arbeitslos”, sondern “arbeitssuchend” zu schreiben, weil es positiver klinge. Scheinbar ist “arbeitssuchend” zwölf Jahre später nicht mehr positiv genug.

Ich fühle mich irgendwie an der Nase herumgeführt von dem Mist, den mir das Arbeitsamt hier als “Muster” in die Hand drückt. Wie sagte der Herr Colling doch (nicht wörtlich)? “Wir und die Arbeitgeber fragen uns bei so schlechten Bewerbungen, wie das bei einer Person sein kann, die jeden Tag von Montag bis Freitag mindestens acht Stunden, also 40 Stunden pro Woche, dafür Zeit hätte, die Bewerbungsunterlagen zu optimieren.”

Na, dann danke ich dem Herrn Colling doch direkt, dass er uns schludrigen Gammlern mal gezeigt hat, was ein bezahlter Mitarbeiter des Arbeitsamtes so alles hinbekommt, wenn er sich wenig genug Mühe gibt, im Angesicht seines mit unseren (wenn auch indirekten) Steuern gesponserten Einkommens, und im Vergleich zu der Zeit, die er eigentlich dem bestmöglichen Dienst am Kunden widmen sollte, und nicht dem Schaukeln seiner Eier!

Aber okay, ich lasse in dubio pro reo stehen, dass es ja immerhin nur daran liegen könnte, dass das Arbeitsamt so dermaßen unterbesetzt ist, dass keiner da ist, der die Sammlung von einzelnen Blättern auch nur mal oberflächlich hätte auf Fehler oder Kohärenz untersuchen können.

Zu guter Letzt hat auch der Herr Colling es sich nicht nehmen lassen, in einem Nebensatz die Notwendigkeit eines ordentlichen Erscheinungsbildes zu erwähnen, gerade im Hinblick auf Tätigkeiten, wo man Berührung mit Kunden hat, was mich prompt an den langhaarigen Bombenleger erinnert, der an der Empfangstheke des Jobcenters seinen Dienst versieht. Dabei stört mich sein ja scheinbar kundendienstuntaugliches Äußeres weitaus weniger als sein barsches Verhalten. Ich verstehe, dass man an diesem Arbeitsplatz mit einer Menge Idioten und auch unhöflichen Leuten in Berührung kommt, und dass man dadurch abstumpft – andererseits soll man auch aus der Küche rausbleiben, wenn man die Hitze nicht verträgt.

Da ich eine offizielle Einladung erhalten hatte, hatte ich Anspruch auf Fahrtkostenersatz, aber ich war noch nie in eine solche Situation geraten und wusste nicht, an wen ich mich diesbezüglich richten muss. Also ging ich zur Infotheke und landete leider bei diesem Spezi.
“Guten Morgen. Ich habe hier eine offizielle Einladung des Jobcenters und angeblich kann man Fahrtkosten erstattet bekommen, können Sie mir was darüber sagen?”
“Da weiß isch nix von.”
“Und wer bitte weiß was davon?”
“Frachen Se mal Ihren Vermittler.”
(Der Vermittler ist in der Tat derjenige, der solche Anträge entgegennimmt.)

Die Kollegin, die neben ihm sitzt, ist mindestens ebenso alt, aber die ist höflich und nett, mit sympathischer Körpersprache, und behandelt einen nicht wie irgendeinen Deppen.
Wenn ich an der Fleisch- oder Brottheke stehe und mir auffällt, dass ich mit der Frau auf der anderen Seite auf die Art und Weise rede, wie sie eigentlich mit mir reden müsste, dann ist das für mich irgendwie belustigend. Dieser Typ hier pisst mich so richtig an.