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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

19. Dezember 2006

World Of Warcraft – für Arme

Filed under: Spiele — 42317 @ 17:24

Beziehungsweise: für Bescheidene.
Sowas spiele ich derzeit.
Natürlich heißt das Machwerk nicht “World of Warcraft“, sondern anders, nämlich “Angband“. Aber es ist genauso wie WoW. Einschränkend sollte man sagen: “Es ist wie WoW, nur ohne tolle Grafik, ohne online, ohne Quests und ohne Multiplayer.”
Da mag jetzt einer einwenden:
“Dann ist es also gar nicht wie WoW und Du hast einen ironischen Scherz gemacht!?”
Nein, ich habe keinen Scherz gemacht.
Gamer anderer Sorte könnten einwenden:
“Dann ist es also eher so ein bisschen wie das erste Diablo?”
Ein bisschen vielleicht wie Diablo, ein bisschen von beidem.

Was bleibt von WoW denn übrig, wenn man tolle Grafik, online, Multiplayer und Quests davon subtrahiert? Was bleibt, ist ein Rollenspiel, das ganz bedeutende Urinstinkte des Menschen anspricht:
1. Jagen und Sammeln
2. Statussteigerung

Das Spiel in seiner derzeitigen Form stammt aus dem Jahre 1996 und braucht – man halte sich fest – 3,5 MB Speicherplatz auf der Festplatte.
Und dafür kriegt man eine Art WoW?
Ja klar.

Die Leute, die sich das Spiel ausgedacht haben, waren Tolkienfans. Das zeigt sich nicht nur daran, dass es in der Charaktergenerierung Hochelben und Dunadan gibt, sondern auch an der Geschichte des Spiels: Ältere Versionen heißen zum Beispiel “Moria” und der Dungeon war ursprünglich in dem Kontext angesiedelt. Jetzt heißt die Sache “Angband“, und Angand ist eine Stadt, in der sich der Zugang zu einem unterirdischen Labyrinth (Dungeon) befindet.

In der Stadt selbst gibt es ein Haus, wo der Held (bzw. die Heldin) wohnt, einen Laden für Magier, einen für Priester, zwei für Krieger (Waffen hier und Rüstungen da), einen Alchimieladen, einen Schwarzmarkt und einen Gemischtwarenhändler, den wir früher lieber “den Krämer” genannt haben.
Und die Händler sind alle doof. Da findet man im Dungeon z.B. eine Phiole mit einer hellbraunen, klaren Flüssigkeit. Der Alchimist bietet einen Standardpreis auf alle nicht weiter untersuchten Tränke und stellt erst NACH dem Kauf fest, um was es sich handelt.
“Sie einigen sich schnell auf den Preis: 15 GS für den hellbraunen, klaren Trank. Es handelt sich um Apfelsaft. Der Händler beschimpft Sie als Bastard.”
Das machen alle Händler so. Am Anfang kann man so ein paar Kröten verdienen, indem man den Händlern nicht identifizierten Schrott verkauft. Da man dann weiß, welcher Trank was ist, klappt das später nicht mehr, und ab einer gewissen Spielstufe tut man besser daran, für 60 GS eine magische Schriftrolle zu kaufen, mit Hilfe derer man Gegenstände identifizieren kann. Zauberstäbe z.B. sind den Einsatz meist wert.

In der Stadt gibt es bissige Hunden und Katzen, die einen ohne Grund anfallen, Diebe und Räuber, betrunkene Gesellen, unangenehme Söldner und den Bauern Maggot, der einem was von seinen entlaufenen Hunden und von Pilzen erzählt. Wirklich reden kann man da mit niemandem. Neben jemandem zu stehen und per Tastendruck auf die Person zu zu steuern, bedeutet, sie anzugreifen. Für Kommunikation gibt es keinen “Startbefehl”. Und deswegen gibt es auch keine Questen (Aufgaben), die man erfüllen könnte. Man schnetzelt sich einfach durch den Dungeon. Hm… das heißt, die Sache mit Maggot und seinen Hunden könnte eine Aufgabe sein… wenn ich dann allerdings im Dungeon bin und werde von den beiden Viechern angefallen, dann kriegen die eben kaltes Eisen in die Rippen. Und weil einem der Bauer danach immer noch auf den Keks geht, erschlägt man den am besten auch gleich, wenn man mal wieder “zu Auftanken” oben ist. Er wandert dann wie alle anderen erschlagenen Dorfbewohner in den “Kill Score”, nur um im Laufe einer bestimmten Anzahl von Runden wieder zu erscheinen…

Ja, hier geht’s um Runden! Das Spiel ist nur optisch Echtzeit, wie ein Laterna Magica Effekt beinahe. Zeit vergeht nur dann, wenn der Held sich bewegt oder eine Aktion ausführt. Hält er still, passiert auch nichts, weder im Guten noch im Bösen. Man kann also zwischendurch mal länger auf den Pott, wenn’s sein muss. Beim echten WoW sollen manche Leute damit ein Problem haben, sagt man.

Aber gut, dann geht man halt da runter, senkrechte Vogelflugperspektive, und tötet allerlei Getier, dessen Bezeichnungen ich hier nicht im einzelnen auflisten will. Und warum tötet man die alle? Um Erfahrungspunkte zu schaufeln natürlich, mit einem Stufenanstieg die statistischen Werte der Spielfigur in die Höhe zu treiben und noch effektiver Monster zu jagen. Des weiteren findet man in so einem Dungeon auch immer Geld, das man dafür aufwendet, immer bessere Austrüstung zu kaufen. Ich sagte ja: Urinstinkte.

Und so “manch einer” traut sich zu weit vor oder läuft in eine Falle: Entweder sieht man sich plötzlich Gegnern gegenüber, die zu gut austeilen, als dass man schnell mit ihnen fertig werden könnte oder aber man trifft an sich lächerliche Gegner, die aber in der Lage sind, sich zu vermehren – wie z.B. “Riesenläuse”. Die sind am fatalsten, wenn man eine fette Rüstung trägt. Schwere Rüstungen machen langsamer, und da sich die Spielgeschwindigkeit aus dem Schnelligkeitsverhältnis von Held und Feind berechnet, kann es halt sein, dass die große Laus bis zu drei Züge machen kann, bevor der Held seinen eigenen Zug zugelassen bekommt.
In der Praxis drückt sich das so aus:

Der Held betritt einen Raum mit drei schlafenden Läusen drin.
“Ha! Nur drei! Und sie schlafen!” sprach’s und macht einen Schritt.
Große Rüstungen sind aber nicht nur schwer, sondern auch laut.
Die Läuse erwachen.
Der Held macht einen weiteren Schritt in den Raum und auf den Feind zu.
Jede Laus macht derweil zwei oder drei Schritte und verdoppelt sich dabei…

Selbst wenn man dann mit jedem Schlag eine Laus tötet, ist man bald von Läusen umstellt und kann nicht mehr entkommen, weil die Läuse schneller reagieren und die freie Bresche sofort wieder schließen, bevor der gerüstete aber langsame Held sich auf den rettenden Ausgang zu bewegen kann. Umstellt von neun sich regenerierenden Gegnern, von denen jeder zwei Angriffe ausübt für jede einsame Attacke des Helden? Das macht niemand lang mit. Wehe dem, der keine Magie zur Hand hat, sich aus dem tödlichen Kreis “raus zu beamen”. Dann steht da am Ende ein ASCII Grabstein:
“Agrimoth”
“Zwergenkrieger Stufe 10”
“Getötet von einer Riesenlaus auf Level 3”

Viel frustrierender ist es allerdings, wenn da nicht steht “Getötet von XYZ”, sondern “verhungert”.
Ja, das geht schnell. Nach einer bestimmten Anzahl von Schritten wird der Held hungrig. Nach einigen (nicht wenigen) weiteren Schritten wird er schwach und fällt schon mal in Ohnemacht… wie kann man bei solch deutlichen Vorboten verhungern? Einfach:
Man stößt auf seinem Weg andauernd gegen die Wand. Man bekommt davon keinen Schaden (wie anno dazumal in “Dungeon Master”), aber es erscheint eine kleine Textmeldung oben links: “Da ist eine Wand im Weg”. Genau dort erscheinen auch andere Textmeldungen, wie “Sie fallen vor Hunger in Ohnmacht”, in der gleichen Schriftfarbe und ebenso klein. Man achtet wegen des vielen Wandkontakts kaum darauf. Der Hinweis “Hunger” befindet sich ganz unten links im Bild, in gelb zwar, aber ebenso unauffällig weit weg, wenn man sich nicht angewöhnt, darauf zu achten. Und dann rennt man durch den Dungeon, haut jeden Höhlenork bereits mit einer geradezu lässigen Ohrfeige aus dem Weg und plötzlich sieht man sich seinem Grabstein gegenüber: “… verhungert”.

Und das Tollste daran ist: Man kann seinen Helden nicht dadurch retten, dass man einen früheren Speicherstand aufruft. Wenn man das Fenster zumacht, wird automatisch gespeichert, und vom “Friedhof” aus muss man das Spiel schließen und neu starten, ohne Möglichkeit, die Option “Öffnen” anzuwenden. Ein toter Held ist ein toter Held, ohne Wiederkehr. Das ist frustrierend.
Andererseits finde ich, dass es auch eine große Motivation ist. Der Süchtige vor dem Spielautomaten in der Kneipe verliert auch eine Münze nach der anderen, und denkt sich trotzdem “Einmal muss es klappen!” Als Angband-Spieler denke ich genau so (mittlerweile sind meine Helden nach Nummern benannt, aktuell “No18”), und meine Chancen, dass es mal klappt, sind besser als in der Kneipe, denke ich.

Aber was klappt denn da eigentlich potentiell? Gute Frage, denn das Spiel liefert keinerlei Story oder so, aus der man einen Anfang oder ein Ende ersehen könnte. Man ist in der Stadt Angband gefangen und muss schon aus lauter Langeweile in den Dungeon, mit der fadenscheinigen Begründung im Hinterkopf, “um das Böse zu besiegen”. Das Spielkonzept stammt aus guten (?), alten Zeiten, wo das noch ausreichte.

Ursprünglich ging ich davon aus, dass es sich um ein Endlosspiel handelte, also um unendlich viele Stockwerke, in denen man sich so weit wie möglich vorkämpft, um eine gute Position in der Highscore Liste zu erhalten. Jedes Mal, wenn man den Dungeon betritt oder ein Stockwerk wechselt, bekommt man vom Generator eine völlig neue Karte. Auch bei einem eher dümmlichen Spiel wie Diablo, das bei jedem Spielstart den Dungeon anders aufbaut, blieben die Baupläne während des Spiels doch gleich. Nicht so bei Angband. Die Chancen, das selbe Stockwerk noch einmal zu spielen, sind gleich Null. Auch auf dem Rückweg. Das Portal von Angband ist eine multidimensionale Angelegenheit.

Auf einem Umweg habe ich erfahren, dass das Spiel in der Tat ein Ende hat.
Der Magieshop bietet einen Spruch an, der heißt “Level Teleportation”, und in der aufrufbaren Erläuterung ist in etwa folgendes zu lesen:
“Level Teleportation bringt sie einen Level nach oben oder nach unten. Von der Stadt aus können Sie nur nach unten teleportieren. Vom Level 99 aus können Sie nur dann nach unten teleportieren, wenn Sauron besiegt wurde. Vom Level 100 aus können sie nur dann nach unten teleportieren, wenn Morgoth besiegt wurde.”

AHA!

Natürlich frage ich mich, was man denn nach Morgoth, dem bösen Gott, von dem alles Übel ausging, möglicherweise noch folgen kann? Vielleicht finde ich es irgendwann heraus.

Das Spiel kann man kostenlos und unverbindlich runterladen von
http://www.thangorodrim.net/.

Von Angband gibt es mittlerweile eine Menge Spinoffs…
unter anderem “Animeband“.
Bin mal gespannt, was da so läuft.