Code Alpha

Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

20. Dezember 2023

Samstag, 20.12.2003 – Spielhöllenparadies

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Wie bereits gestern Morgen gibt es auch am heutigen Morgen kein fließendes Wasser um 07:25. Das Wasser kommt um 07:45 zurück, und ich bin sehr dankbar, dass mir das am Wochenende passiert, und nicht Dienstags, Mittwochs oder Donnerstags, wo ich um kurz nach acht aus dem Haus muss. Aber heute ist ja Samstag. Da sitze ich um 07:30 ganz gemütlich vor dem Fernseher.

Und heute bewegt sich bei „SailorMoon“ endlich etwas. SailorVenus hat ihren ersten Auftritt! Sie wird immer noch als die Prinzessin propagiert. Das macht mich auf Dauer natürlich ein bisschen unsicher, aber erstens glaube ich nicht, dass Takeuchi Naoko einer solchen Veränderung jemals zustimmen würde, und zweitens sehe ich es kommen, dass sich die Wahrheit genau dann herausstellen wird, wenn die bösen Bösen ihre Konzentration voll und ganz auf die falsche Prinzessin gelenkt haben und der das Schicksal entscheidende Moment gekommen ist. Fragt sich: Warum sollten sie das tun? Königin Beryll weiß ja ganz genau, dass es die Königin des Mondreichs war, die zu jener Zeit „nicht unwesentlich“ zu ihrem Untergang beigetragen hat – also warum sollte sie auf den Gedanken kommen, dass die neu geborene Venuskriegerin die Prinzessin sein könnte??? Ich würde das ein Loch in der Story (oder vielleicht auch ein Loch in meiner Theorie) nennen. Ich gehe nämlich derzeit davon aus, dass Minako am Ende, in eben jenem Schicksal entscheidenden Moment, einen höflichen Kniefall vor Usagi machen und erklären wird, dass die Maskerade als Täuschungsmanöver zum Schutz der Mondprinzessin (= Usagi) notwendig war.

Wie dem auch sei. SailorVenus „geht ab wie e rod Mobbedd“, wie mein Schulfreund Frank immer so schön sagt. Zoisyte will ihr nämlich „eine Ansichtskarte aus Solingen“ schicken und Mamoru stellt sich zwischen Venus und Zoisyte. Zoisyte erkennt seinen alten Herrn und Meister in Mamoru wieder und zögert – offenbar ein Anfall vergangener Loyalität, worauf Venus ganz cool einen Schritt aus ihrer Deckung heraustritt und den armen Zoisyte ohne ein weiteres Wort zu verlieren mit ihrem Crescent Beam wegbrutzelt. Da geht er hin und muss ins Gras beißen, ohne eine einzige Einstellung, die ihn zusammen mit Kunzyte gezeigt hätte. In der Vorschau stellt sich Kunzyte dann als der „Dunkle König“ vor. Ah ja. Dann bin ich mal gespannt, was aus dem Mann wird.1

Im Übrigen gehen mir die Kämpfe, die mehr Ähnlichkeit mit gymnastischem Bodenturnen haben, so langsam ein wenig auf den Wecker. Die Angriffe turnerisch vorzutragen, erfüllt keinen mir ersichtlichen Zweck, außer der dadurch besseren Möglichkeit der Hervorhebung der Hüften und Beine der Hauptdarstellerinnen, und dass sich der männliche Zuschauer ab 12 Jahren an der Darstellung von weißer Unterwäsche erfreuen kann (eigentlich ist es aber der untere Teil von einer Art Badeanzug in weiß). Ich sage nicht, dass dieser Punkt aus männlicher Perspektive uninteressant sei – aber als Fan im weitesten Sinne finde ich es ein wenig übertrieben und irgendwie deplatziert, wenn die Realserie die Animeserie an Pantyshots übertrifft. Sawai Miyû (Usagi) hat eine offizielle Seite, und man kann ihr Fanmails schreiben – ich glaube, ich frage sie mal, was das eigentlich für ein Gefühl ist, wenn man weiß, dass Hunderte von männlichen Zuschauern mit eindeutigen Gedanken und nur deshalb vor dem Bildschirm sitzen. Das würde mich interessieren.

Entgegen meiner ursprünglichen Absicht gehe ich nach der Sendung nicht wieder schlafen. Der Bettbezug hat was dagegen; er sagt, er möchte bitte gewaschen werden. Soll mir Recht sein. Sobald ich mit ihm fertig bin, arbeite ich auch den übrigen Wäscheberg etwas ab. Bevor wir nach Tokyo fahren, möchte ich den Schrank annähernd leer haben. Während die Wäsche sich dann in der Maschine dreht, komme ich endlich dazu, das Bad zu putzen. Seit etwa einer Woche will ich das schon erledigen. Und während ich schrubbe, klingelt SongMin und eröffnet uns, dass sie heute ins Frauenwohnheim umziehen wird, weil ihr die Wohnung für sie allein zu groß ist und sie sich darin zu allein fühlt. Schade… sie war eine sehr angenehme Nachbarin.

Ikeda kommt wegen der Übergabe der Wohnung kurz danach vorbei. Und wenn er schon da ist, kann ich ihn ja wegen des festgefahrenen Videobandes im Videorekorder ansprechen. Das sei gar kein Problem sagt er und gibt uns den Fernseher aus SongMins Wohnung, weil es sich um das gleiche Modell handelt. Na wunderbar, dann ist die Videosession ja vorerst gesichert.

Nachdem ich mit dem Putzen fertig bin, gehe ich in die Bibliothek und verlasse sie erst um 17:00 wieder. Ich gehe ins Naisu Dô und kaufe mir das verbliebene Artbook von „Königin der Tausend Jahre“. Ein weiteres Filmartbook, auch dieses hier behandelt nicht die Serie. Des weiteren kaufe ich ein „Mahôjin Guru Guru“ Artbook, das nicht wirklich ein Artbook ist. Es handelt sich eigentlich um einen „World Guide“, in dem die Welt dieser Serie erklärt wird, mit Landkarte und wie das mit der Magie da geregelt ist, welche Symbole und Magiearten es gibt. Der größte Teil des Buchs besteht aus kurzen Mangastrips, zum Teil Parodien auf europäische Märchen. Ganz nett, aber das werde ich verkaufen. Falls ich es loswerde.
Weiterhin zum Verkaufen bestimmt ist eine dreibändige „Rurôni Kenshin“ Sammlung (ein Episode Guide, um genau zu sein), ein „Slayers DX“ Artbook und eine weitere Ausgabe von „Memory of Memories“ von Otomo Katsuhiro. Vorgemerkt für den gleichen Zweck habe ich eigentlich eine Komplettausgabe der „Nausicaä“ Manga. Würde nur 1800 Yen kosten. Aber andererseits… gibt es das nicht schon auf Deutsch oder Englisch? Welcher Trottel würde dann die japanische Version kaufen? Das lasse ich vielleicht doch besser.

Aus dem Naisu Dô heraus fahre ich direkt ins Ito Yôkadô Kaufhaus, um nach CDs zu sehen. Aber 3000 Yen finde ich immer wieder aufs Neue abschreckend. Ich finde in einer Angebotskiste die „Animatrix“ DVD für 1500 Yen. Ich vergewissere mich, dass auch eine englische Sprachversion drauf ist und kaufe die DVD. Schließlich kosten DVDs hier normalerweise mehr als das Doppelte. Dann mache ich mich auf den Weg ins Daiei.
Dort entdecke ich japanische Geschirrspülmaschinen, und mache auch gleich ein Bild davon. Die Maschine sieht auf den ersten Blick aus wie eine Mikrowelle, oder wie ein leeres Aquarium mit Springbrunnen drin. Klein und handlich. Das Geschirr einer Familie mit zwei Kindern passt da bestimmt nicht rein, aber die Werbung sagt, dass ein Waschgang nur sechs Minuten benötige.

Der Geschirrspüler für den kleinen Haushalt

Ich fahre weiter nach oben und entdecke die Spielabteilung. Nicht die Abteilung, wo man Spiele kaufen kann – die Abteilung mit den Spielautomaten. Eigentlich wollte ich nur das Angebot begutachten, aber… was ist das!? Da steht der Fahrautomat „Sega Rally Championship“ – das Original von 1995! Das habe ich zuletzt 1997 im heimatlichen Blieskastel gespielt. Und der hier verfügt sogar über zwei Sitze, damit man auch gegen einen Freund antreten kann. Das lasse ich mir nicht entgehen und lasse 200 Yen an dem Automaten. Ein tolles Gefühl, die vibrierenden Sitze und das zerrende Lenkrad noch einmal zu erleben und die simplifizierte Gangschaltung misshandeln zu dürfen… aber ich bin genauso schlecht wie damals. Ich habe inzwischen zwar mehr Gefühl dafür, eine Gangschaltung zu benutzen (1997 hatte ich noch keinen Führerschein), aber die Spielpraxis zeigt, dass ich noch an der gleichen Stelle rausfliege, wie damals. Kai wird sich an die Bergstrecke und ihre widerlichen Kurvenkombinationen erinnern… er sollte mich hier mal besuchen. „Daytona Racing“ steht in einer Zweispielerversion nämlich direkt daneben. Und da, ein paar Meter weiter kann man „Time Crisis“ spielen! Das alte „Time Crisis“ für die Playstation, Baujahr 1997. Da muss auch eine Runde rollen. Und noch eine. Mann, bin ich schlecht geworden. Hätte ich das gewusst, hätte ich zuhause noch schnell geübt.
Aber da soll mir noch einmal jemand was von der Schnelllebigkeit der japanischen Populärkultur erzählen – im Großen und Ganzen trifft das natürlich tatsächlich zu, aber ich hätte nie damit gerechnet, jetzt noch, zum Jahreswechsel 2003/04, hier drei Klassiker der Automatenunterhaltung am selben Ort zu finden, die vor eben mehr als fünf Jahren erschienen sind. Ich habe gedacht, hier sei nichts zu finden, was vor 2001 aus der Fabrik gekommen ist.
Neben „Time Crisis“ steht „Time Crisis 3“, offenbar funkelnagelneu. Eine Runde kostet da nämlich 200 Yen statt der üblichen 100. Was soll’s, wenn ich schon mal da bin, kann ich das auch ausprobieren. Wohlgemerkt haben beide „Time Crisis“ Spiele hier GunCons (die Spielpistolen) mit beweglichen Teilen, und die Dinger haben ein ordentliches Gewicht, um das Schießen realistischer rüberzubringen. Und „Time Crisis 3“ hat es in sich. Grafisch und von der Anforderung an den Spieler. Von daher komme ich als Ungeübter auch nicht weit.

Zuletzt lasse ich 300 Yen an einem Automaten, an dem man ein Scharfschützengewehr bedient. Ich schätze, dass es sich um das Spiel handelt, von dem JP erzählt hat, das Stefan es „mit Links“ durchgespielt habe. Der Automat hat natürlich einen Bildschirm, aber in dem Zielfernrohr der festgeschraubten Spielwaffe befindet sich ein weiterer, winziger Bildschirm, der eben die Nahaufnahmen darstellt. Macht unheimlich Spaß, zeigt mir aber, dass das Gerät für japanische Jugendliche installiert wurde. Ich stehe hier sehr breitbeinig in der Gegend rum, weil die Schulterstütze viel zu niedrig für mich angesetzt ist. Die Levels, wo es wirklich um Scharfschützenaufträge geht, bringe ich bequem hinter mich, aber das Schießen auf bewegliche Ziele (Jeeps und Hubschrauber!), ist mir zu viel. Ja Kai, Du bist der Meister.

Frau Professor Gössmann hebt an dieser Stelle als personifiziertes Gewissen in meinem Hinterkopf den Zeigefinger und sagt: „Dafür hatten Sie eigentlich gar keine Zeit, Herr Schwarz!“ und sie hat natürlich Recht. Denn vor lauter Begeisterung verspäte ich mich, außerdem ist die Straße stellenweise glatt geworden. Zeit aufholen kann ich also in den Wind schreiben. Ich treffe Melanie im BenyMart, und sie war so lieb, mir die verpassten Sendungen ab 19:00 auf Band aufzunehmen. „Crayon Shin-chan“ und „Bobobôbo Bôbobo“ wollte ich nicht verpassen. Ja, wie es aussieht, hat sich meine Meinung bezüglich „Shin-chan“ geradezu ins Gegenteil verkehrt. Ich gehe aber auch weiterhin davon aus, dass ich in Deutschland von dem Konsum der Serie wegen der üblen Synchro absehen werde. Aber ich mutiere in Japan bereits zu einer Art Fan.

Ich komme heute Abend aber in den unvergleichbaren „Genuss“, Nattô zu essen. Das faulige Bohnenzeugs befindet sich auf zweien von den Sushiklumpen, die ich heute gekauft habe. Hauptsächlich, um zu erfahren, worüber „alle“ reden. Volker hat Nattô bereits beschrieben, ganz gut sogar, aber beim Geschmack beschränkte er sich meines Wissens auf „lecker ist was anderes…“. Das sei ihm gegönnt, aber ich will weiter darauf eingehen und bei der „Basis“ anfangen. Im Prinzip besteht Nattô aus kontrolliert angefaulten Bohnen. „Fermentiert“ nennt man das beschönigend. Nattô ist von einer hellbraunen Farbe, etwas dunkler als ein brauner Briefumschlag, hat eine irgendwie schleimige Konsistenz wie eine Mischung aus Uhu Kleber und „Colgate Gel“ Zahnpasta und ist mit Bröckchen (der Bohnen) durchsetzt. Der Geruch ist auffällig, leicht faulig, aber nicht so streng, wie ich dachte. Der Geschmack erinnert an einen sehr alten Weichkäse, den man im Schrank festbinden muss, damit er nicht von alleine davonläuft, wenn man den Schrank öffnet. Ich mag alten Weichkäse. Wer auch immer mein Zimmer im Wohnheim nach mir bezogen hat, wird das erahnen können. Aber Nattô fehlt in der Komposition ein wichtiger und entscheidender Geschmacksfaktor, den ich leider nicht genau definieren kann, um den Genussfaktor eines alten Camembert oder Brie zu erreichen. Mein Urteil: Man kann es essen (ohne sich übergeben zu müssen). Es muss aber nicht unbedingt sein. Vor allem nicht mehr als ein Kaffeelöffel voll auf einmal. Das ist die Grenze, die mein Magen mir dabei setzt.

1 Das war ein Hörfehler. Er sagte, er sei einer der „Dark Kingdom no Shitennô“.

Schreibe einen Kommentar